)
Georgien soll jenes Abkommen unterzeichnen, das schon die Ukraine ins Chaos gestürzt hat.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Tiflis. Die alte Heimat liegt so nah, dass man sie fast sehen kann. Irgendwo in den dunklen Bergen am Horizont steht das Haus von Nunu Babiaschwili oder vielmehr das, was die Angriffe und die anschließenden Plünderungen übrig gelassen haben. Als am 9. August 2008 die Bomben fielen, hatte sich die 44-Jährige in der kleinen Ortschaft Kurta mit wenig mehr als den Kleidern auf dem Leib auf den Weg gemacht, um den Wirren des fünftägigen Krieges, der zwischen Georgien und Russland um das seit 1990 abtrünnige Südossetien entbrannt war, zu entkommen.
Heute lebt die 44-Jährige gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem 15-jährigen Sohn, der später einmal Schauspieler werden will, wie viele der 30.000 anderen aus Südossetien vertriebenen Georgier in einem Flüchtlingslager westlich der georgischen Hauptstadt Tiflis. Hier in Berbuki, einer vor einigen Jahren aus dem Boden gestampften Siedlung aus uniformen gelben Häusern mit silbernen Wellblechdächern, hat sich Babiaschwili eine bescheidene kleine Existenz aufgebaut. In einem kleinen Stall unweit ihres Haus schmatzen über den Futtertrögen 15 Schweine, deren Fleisch an die anderen Dorfbewohner verkauft wird. Finanziert wurde die kleine Schweinefarm neben vielen anderen Projekten in den Flüchtlingssiedlungen von der ADA, der österreichischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit.
Ein Konflikt kocht hoch
Doch wirklich angekommen ist Babiaschwilli auch nach sechs Jahren noch nicht. "Am liebsten würde ich wieder nach Südossetien zurückgehen", sagt die 44-Jährige. "Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben". Doch Hoffnung für Babiaschwilli gibt es nicht. Nicht nur weil die Grenze, die auf südossetischer Seite von Truppen der Schutzmacht Russland kontrolliert wird, nach wie vor dicht ist, nicht nur weil am vergangenen Sonntag die prorussische Partei in Südossetien die umstrittenen Parlamentswahlen gewonnen hat. Sondern auch weil der zuletzt etwas abgekühlte Konflikt zwischen Georgien und Russland wieder gefährlich hochzukochen droht.
Am 27. Juni wollen die EU und Georgien in Brüssel ihr Assoziierungsabkommen unterschreiben, also genau jenen Vertrag, der vor knapp sieben Monaten die bis heute die Weltpolitik dominierende Ukraine-Krise ausgelöst hat. Und bereits zwei Wochen zuvor ist überall in Georgien die Angst zu spüren, dass der große Nachbar im Norden auch diesmal der Westintegration einer ehemaligen Sowjetrepublik nicht tatenlos zusehen wird. "Wir sind im Allgemeinen sehr besorgt, was Russland anbelangt", sagt George Tsereteli, Vizepräsident des georgischen Parlaments und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Denn bisher hätten die intensiven Bemühungen der Regierung, trotz des Westkurses ein gutes Verhältnis zu Russland zu schaffen, kaum zu Erfolgen geführt.
Befeuert hat die Sorge vor einer neuerlichen Eskalation im Südkaukasus unter anderem Alexander Lukaschewitsch, der Sprecher des russischen Außenministeriums. "Georgien hat als souveräner Staat das Recht, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen", sagte Lukaschewitsch vor knapp drei Wochen. "Doch Georgien muss auch die möglichen Konsequenzen verstehen." Was die Konsequenzen sein könnten, hat Russland bereits angedeutet. Eine Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen würde sämtliche bilaterale Beziehungen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und Georgien beeinflussen, sagte Lukaschewitsch.

Moskau rührt damit in alten Wunden: Erst 2013 war der russische Markt nach einem fünfjährigen Boykott wieder für georgischen Wein und Mineralwasser - zwei der wichtigsten Exportgüter des Landes - geöffnet worden.
Moskau könnte allerdings auch noch einen Schritt weiter gehen. Bereits in der Vergangenheit hatten russischen Truppen Teile des Stacheldrahtverhaus an der südossetischen Grenze Stück für Stück nach Süden verlegt und damit die Gebietsansprüche ausgeweitet, nach den Ereignissen auf der Krim wird auch ein Annexion Südossetiens - das derzeit von Russland als unabhängiger Staat anerkannt wird - von georgischen Politikern als Worst-Case-Szenario nicht mehr ausgeschlossen.
Barroso besucht Tiflis
Es sind also schwierige Rahmenbedingungen, die EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso vorfindet, wenn er am Freitag erstmals in seiner Amtszeit in der georgischen Hauptstadt Tiflis eintrifft. Und die Erwartungen an den Portugiesen, der zuvor Moldawien besucht hatte, das ebenfalls am 27. Juni ein Assoziierungsabkommen unterschreiben soll, sind hoch. "Die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang", sagt der georgische Vize-Außenminister David Zalkaliani im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Vor allem angesichts der ins Stocken geratenen Nato-Beitrittsbemühungen und der sicherheitspolitischen Herausforderungen wünscht man sich ein klares Bekenntnis für die weitere EU-Integration des Landes. "Ein Beitritt 2025 ist möglich, 2020 hört sich schöner an", sagt Zalkaliani.
Daran, dass Georgien, das in den vergangenen zehn Jahren einen bemerkenswerten wirtschaftlichen und institutionellen Aufholprozess vollzogen hat, in die EU will, besteht jedenfalls kein Zweifel. Regierung und Opposition machen sich geschlossen für einen Beitritt stark, in der Bevölkerung liegt die Zustimmungsrate bei knapp 80 Prozent. EU-Euphorie ist selbst in den abgelegensten ländlichen Gebieten zu spüren. "Ich will, dass Georgien ein europäisches, zivilisiertes Land wird", sagt der Landwirt Elizbaar Imerlischwili, der an der Grenze zu Aserbaidschan 200 Hektar bewirtschaftet. Für den 27. Juni, den Tag der Unterzeichnung, hegt Imerlischwili immerhin eine Hoffnung. "Vielleicht ist der russische Präsident Putin ja so sehr auf die Ukraine konzentriert, dass er keine Zeit für uns hat."