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Europa in georgischen Turbulenzen

Von WZ Online

Europaarchiv

Moskau/Berlin. Mit Freudenschüssen und knallenden Sektkorken haben Tausende Abchasen und Südosseten vor wenigen Tagen die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit durch Russland gefeiert. Doch der Jubel könnte schon bald einer gehörigen Ernüchterung weichen.


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Der Traum der beiden abtrünnigen georgischen Regionen von einer international akzeptierten Eigenstaatlichkeit wird so schnell keine Wirklichkeit werden: Kein anderes Land und keine internationale Organisation erkennt die winzigen Gebiete als Staaten an. Ihre Wirtschaft ist durch ein georgisches Handelsembargo schwer geschädigt. Und die Politik Abchasiens und Südossetiens wird ohnehin nach wie vor im Kreml bestimmt.

Einen Tag vor ihrem Sondergipfel zur Kaukasus-Krise hat indessen in der Europäischen Union weiterhin Uneinigkeit über das weitere Vorgehen geherrscht. Während sich Berlin um Entspannung bemühte, forderte der britische Premierminister Gordon Brown in einem Zeitungsbeitrag eine völlige Neubetrachtung der Beziehungen zu Russland. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier rief zu Besonnenheit auf und sprach sich mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow dafür aus, die aktuellen Spannungen einzudämmen. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Polens Präsident Lech Kaczynski vereinbarten unterdessen ein gemeinsames Vorgehen beim Gipfel.

Steinmeier und Lawrow hätten sich in einem Telefonat dafür ausgesprochen, dass Versuche, die Spannungen in Europa nach dem Konflikt zwischen Georgien und Russland anzuheizen, "beendet" werden müssten, teilte das russische Außenministerium am Samstag mit. "Wir brauchen eine starke und besonnene europäische Rolle, um eine Rückkehr zu Vernunft und Verantwortung zu ermöglichen", sagte Steinmeier der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Merkel vereinbarte mit Polens Präsident Kaczynski ein gemeinsames Vorgehen beim EU-Gipfel. In einem Telefonat hätten sie sich auf einen Plan geeinigt, der einen Ausweg aus der Krise ebnen solle, sagte ein ranghoher Beamter im polnischen Präsidentenbüro der Nachrichtenagentur PAP am Sonntag. Der vereinbarte Plan betone die "territoriale Unversehrtheit Georgiens" sowie die Notwendigkeit eines Rückzugs der russischen Truppen aus Georgien.

Der britische Premierminister Gordon Brown forderte indes eine "radikale" Überprüfung der Beziehungen zu Russland. In einem Beitrag für die Zeitung "Observer" (Sonntag) warf er dem Kreml im Kaukasuskonflikt ein einseitiges, gefährliches und inakzeptables Vorgehen vor. Staaten wie Russland missbrauchten ihre Energiereserven zunehmend als politisches Werkzeug. Er habe dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in einem Telefonat klargemacht, dass der Kreml mit einer "entschlossenen Antwort" der EU zu rechnen habe.

Georgien rief seinerseits die EU zu Sanktionen gegen Russland auf. Sein Land erwarte "gewisse Strafmaßnahmen", sagte der für die abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien zuständige Minister Temur Jakobaschwili. Die französische EU-Ratspräsidentschaft hatte am Freitag allerdings deutlich gemacht, dass der Gipfel keine Sanktionen beschließen werde.