Zum Hauptinhalt springen

Europa ist abhängig, zu abhängig

Von Haimo L. Handl

Gastkommentare
Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.

Die USA haben Europa die Wirtschafts- und Finanzkrise eingebrockt und stehlen Daten wie nie - trotzdem bleibt der Alte Kontinent loyal.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Etikettierungen prägen, wie Namensgebungen, das Image des Gezeichneten, entweder positiv oder stigmatisierend negativ. Wer das vorgeben kann, hat viel Macht. Immer schon fanden Machtkämpfe und Kriege ihre Entsprechung in der öffentlichen Kommunikation. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfeinerten sich die Techniken, wuchsen die Auswirkungen durch die rasante Entwicklung der Massenmedien.

China vermochte sein Image zu ändern, obwohl es auch als staatskapitalistischer, moderner Staat einen riesigen Unterdrückungsapparat hält und in jeder noch so kleinen zivilgesellschaftlichen Regung eine direkte Gefährdung seines Staatswesens und der Partei, die alles kontrolliert, sieht. Russlands Image ist stärker belastet, die gegenwärtige Politik Wladimir Putins schürt alte Ängste, die nicht alle unberechtigt sind. Es ist nur Russlands Größe und politischer Bedeutung zuzuschreiben, dass es trotz Sanktionen seitens des Westens noch nicht als "Schurkenstaat" gilt, wie die USA als Weltpolizist, immer noch vom mythisch überhöhten positiven Image zehrend, ihre Feinde benennen. Großbritannien rangiert als Mutterland der Demokratie weit besser, als es verdient, nicht nur wegen seiner horriblen früheren Kolonialpolitik, sondern wegen der gegenwärtigen Finanz- und Spionagepolitik.

Während die Leitmacht USA und ihr engster Partner, Großbritannien, als Stützen westlicher Zentralwerte auftreten, organisieren sie den größten, umfassendsten, tiefestgreifenden Datenklau, der je stattfand. Sie operieren kriminell, nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch (Wirtschaftsspionage). Sie unterminieren nicht nur den wichtigsten Grundwert, die Privatsphäre, auf dem das aufklärerische Denken basiert, der die Grundlage westlicher Freiheit bildet, sondern eliminieren ihn - weiter, als George Orwell es sich je vorstellen konnte.

Würde nach rationalen Kriterien geurteilt, müsste Großbritannien als Feind aus der EU ausgeschlossen und unter Quarantäne gestellt werden, müsste Europa seine fatale Allianz mit den USA sofort aufkündigen, mit allen Konsequenzen. Aber Europa ist abhängig, zu abhängig. Zudem ist es zerstritten. Die Mitgliedstaaten folgen ihren partikularen nationalen Interessen. Die Politik ist Werkzeug für die Profitmaschinerie, die sich nicht an ideologischen, politischen Werten orientiert. Das Diktat der USA hat es deshalb leicht, weil es auf anscheinend gleiche Interessen verweist, weil der Kosten-Nutzen-Faktor immer noch vermeintlich positiv ausfällt, vor allem in Zeiten des Kurzdenkens. Obwohl die extremste Wirtschafts- und Finanzkrise von den USA ausging, wie schon in den 1930ern, übernehmen die "Partner", "Verbündeten" und "Freunde" die Lasten, mühen sich mit einem untauglichen Krisenmanagement, während die USA, nach ihrem "Problemexport", wieder wirtschaftlich erstarken (militärisch waren sie nie ernstlich geschwächt). Die USA bereiten sich nicht auf einen Cyberwar vor, sie führen ihn bereits. Die Briten partizipieren. Die anderen westlichen Staaten kollaborieren.

Weil all das die anderen Akteure nicht aufwertet, ihr Unrecht nicht mindert, vermag die Sicht "gemeinsamer Interessen" noch zu obsiegen, meint die Mehrheit "im gleichen Boot" zu sitzen. Ein tödlicher Fehler.