Joseph Weiler sorgt sich um Europas christliches Erbe | . | Wien. Europa gefährdet seine Zukunft, solange es seine christlichen Wurzeln ignoriert. - So lautete die Kernaussage eines Vortrags, der am Donnerstagabend in der Albertina vor internationalem Publikum gehalten wurde. Ungewöhnlich war, dass der Vortragende, Joseph Weiler, weder Europäer noch Christ, sondern ein in den USA lebender Rechtsphilosoph jüdischen Glaubens ist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Weiler lehrt Internationales Recht an der New York University Law School und kam bereits vor zwei Jahren nach Wien, um sein Buch "Ein christliches Europa" im Nationalrat zu präsentieren. Der Vortrag in der Albertina war Teil eines von Kardinal Christoph Schönborn initiierten viertägigen Symposions. Die wachsende Kluft zwischen Europa und den USA, aber auch die gemeinsamen christlichen Wurzeln standen im Mittelpunkt der Veranstaltung.
In einleitenden Statements unterstrichen Schönborn und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die Wichtigkeit guter Beziehungen zu den USA und forderten eine Rückbesinnung auf die gemeinsame christliche Geschichte.
Weiler ortet einen Kampf Europas gegen sich selbst. Dem jüngsten Verfassungsentwurf der EU fehle das Entscheidende: Europas Werte. Dazu gehöre auch ein Gottesbezug. Etliche europäische Verfassungstexte erwähnen Gott und seien deshalb nicht weniger demokratisch. "Meine These lautet: Wenn die Hälfte von Europas Bevölkerung unter Verfassungen lebt, die auf Gott und das Christentum Bezug nehmen, ist der Ausschluss eines solchen Bezugs ein Hohn für Europas Motto: Vereinigt in der Vielfalt'".
Kritik an EU-Politik
Dass Europa durch eine Loslösung vom Christentum toleranter wird, bezweifelt Weiler. "Wie soll ich die Identität des Anderen respektieren, wenn ich meine eigene Identität nicht annehmen kann?" Auch eine Spannung zwischen Demokratie und Christentum sieht er nicht. Unter Verweis auf das Neue Testament ("Gebt Gott, was Gottes ist, und gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist") zeigte er, dass sich die Kirche von Anfang an nicht für alle Bereiche zuständig fühlte. Hier gebe es einen fundamentalen Unterschied zum Islam, der auch den Staat kontrollieren wolle. Im Christentum sei hingegen die Anerkennung des Rechtsstaats und die Forderung nach einem disziplinierten Umgang mit der eigenen Freiheit und Macht begründet. Das Christentum habe die Entstehung der Demokratie begünstigt. Besorgniserregend sei das jetzige Demokratiedefizit der EU. Wahlen hätten keinen Einfluss auf die Richtung der Politik der EU. Auch Europas Immigrationspolitik kritisierte Weiler. Man räume zwar Einwanderern alle Rechte als Staatsbürger ein, verpflichte sie aber nicht zu einer loyalen Haltung gegenüber der Gesellschaft, die sie aufnimmt. Auch hier gefährde Europa seine eigene Zukunft.