Kein Zweifel: Der EU-Beitritt Österreichs vor genau zehn Jahren hat seine Spuren im Land hinterlassen. Während die Wirtschaft die neuen Möglichkeiten - meistens, wenn auch nicht immer mit Freude - nutzte, und die Menschen noch immer prüfen, ob ihnen der Beitritt persönlich mehr gebracht als genommen hat, rätseln die Parteien darüber, ob sie sich am europäischen Projekt reiben oder begeistern sollen.
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Was hatte Österreich einst nicht alles werden wollen: Brückenkopf nach Ost- und Mitteleuropa, Modellfall für sozialpartnerschaftlichen Interessenausgleich, Friedensengel und Kulturbotschafter sowieso. An Visionen war kein Mangel, nur das Fleisch war schwach.
Vor diesem Hintergrund versammelten sich am Dienstag Experten und Politiker am Wiener Institut für Höhere Studien (IHS), um die Europäisierung der österreichischen Parteien zu erörtern. Absolut betrachtet hat diese zweifellos stattgefunden: Von den heute vier im Parlament vertretenen Parteien bekennen sich mit ÖVP, SPÖ und Grünen immerhin drei zum europäischen Projekt. Dass ausgerechnet das freiheitliche Lager, in den 60ern und 70ern einsame europäische Speerspitze unter Österreichs Parteien, heute das Monopol auf das Attribut EU-skeptisch besitzt, ist dabei nur die eine Seite der Entwicklung. Mindestens genauso bedeutend ist die Kehrtwendung von SPÖ und Grünen hin zu Europa: Letztere votierten gar noch bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt für ein Nein.
Mit zwei Bekehrungen und einem Abtrünnigen - die ÖVP war diesbezüglich am geradlinigsten - fällt eine erste Bilanz der "Europäisierung" der Parteien durchaus respektabel aus. Über den Stellenwert, den die Parteien Europa im Alltag gewähren, ist damit jedoch noch nichts gesagt. Tatsächlich fällt diese Bilanz ernüchternd aus.
Für ÖVP-Europasprecher Werner Fasslabend liegt das Problems darin, dass die Europäisierung der politischen Rahmenbedingungen zwar Faktum ist, das Bewusstsein von Parteien und noch viel mehr der Bevölkerung hinter dieser Realität jedoch nachhinke. Eine Möglichkeit, dieses Dilemma zu beheben, sieht Fasslabend in einer stärkeren Personalisierung des Integrationsprojekts nach Vorbild der nationalen Politik. Der Mangel an Gesichtern fördere das Bild von der EU als anonymes Bürokratenmodell.
Für Caspar Einem, SPÖ-Europasprecher, würde eine stärkere Personalisierung Europas lediglich die diesbezügliche Fehlentwicklung auf nationaler Ebene fortschreiben. Er sieht das Übel im innereuropäischen Standortwettbewerb, der zu einer Re-Nationalisierung der Politik führe. In den letzten Jahren hat für ihn die Bereitschaft, in europäische Kooperation statt nationale Egoismen zu investieren, abgenommen. Solange sich dies nicht ändere, stünde es auch um die Chancen einer nachhaltigen Europäisierung der Parteien schlecht.
Von einer Europäisierung des Wahlverhaltens war übrigens keine Rede. Die hat es laut Sonja Kritzinger vom IHS nämlich gar nie gegeben.