"Wie sicher ist Fliegen?", fragen sich nach den Anschlägen vom 11. September viele, die zuvor - ob privat oder geschäftlich - ohne Bedenken in ein Flugzeug gestiegen sind. Die Antwort der Sicherheitsexperten rund um Airports und Airlines fällt zwar differenziert aus, der Tenor ihrer Aussagen klingt aber beruhigend: "Fliegen ist so sicher wie nie zuvor." Einschänkender Nachsatz: ". . . jedenfalls in Europa".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Schock von den Terroranschlägen in New York und dem Flugzeugabsturz in Queens im November sitzt allen noch tief in den Knochen. Privatreisende wie Geschäftsreisende haben spontan reagiert, die Auslastung der Fluglinien des Europäischen Luftfahrtverbands (AEA) ist seit den Anschlägen um 20 Prozent eingebrochen. Der drastisch gesunkenen Nachfrage wird mit der Streichung von Frequenzen und Destinationen begegnet, renommierte Flugunternehmen wie Swissair und Sabena sind schon auf der Strecke geblieben.
Trotz allem zieht es die Österreicher in die Ferne, in der kalten Jahreszeit kaum weniger als im Sommer. Und auch die Geschäfte der österreichischen Unternehmen laufen weiter, zu fernen Destinationen bleibt kein anderer Weg als der in der Luft.
"Bis auf Afghanistan fliegen unsere Mitarbeiter in alle Länder, in denen wir Geschäftsinteressen haben", sieht Hans-Jürgen Schindler, Präsident der Austrian Business Travel Association (ABTA) und oberster OMV-Travel-Manager bei Dienstreisen keinen Grund zur Panik. Geht es in "kritische Länder" wie etwa Irak oder Somalia, die weitere Angriffsziele der USA sein könnten, so werden ausführliche Erkundigungen eingeholt. Schindler, der gerade aus dem Iran kommt, bestätigt, dass es auch dort keine Probleme gegeben habe. Die Vorsicht von US-Firmentöchtern in Österreich, die ihre Dienstreisen zum Teil massiv eingeschränkt haben, sei für ihn nicht nachvollziehbar.
"Fliegen ist so sicher wie nie zuvor", ist Schindler überzeugt, macht aber eine nicht unwesentliche Einschränkung: "jedenfalls in Europa". Seinen Optimismus teilt er mit einer Reihe von österreichischen Flugsicherheitsprofis.
Kein Hinweis auf Terroranschläge
"Auf Terroranschläge gibt es in Österreich keinerlei Hinweise", zeigt sich Brigadier Wolfgang Bachler, Kommandant von Gendarmerieeinsatzkommando (GEK) und der Anti-Terror-Einheit Cobra von einer baldigen "Rückkehr zur Normalität im Land" überzeugt. Auf einer 4-stufigen "Länder-Bedrohungs-Skala" rangiere Österreich ganz unten. "Auch im Fall einer zweiten Terrorwelle wären wir weit weniger bedroht, als die USA oder europäische NATO-Partner wie Großbritannien, Deutschland oder Frankreich", versichert Bachler.
In Sachen Flugsicherheit ist in Österreich schon viel getan worden, und das nicht erst seit dem 11. September. So wurde schon 1981 in einer zukunftsweisenden Entscheidung ein Sicherheitsnetzwerk implementiert, das unter anderem die Begleitung ziviler Luftfahrzeuge durch staatliche Sicherheitsorgane (Anti-Terror-Einheiten) vorsieht. Aktuell sind diese sogenannten "Sky Marshalls" als wahrscheinlich beste Sicherheitsmaßnahme bei Flügen in aller Munde.
Biologisch-chemische Stoffe wie Anthrax sieht Bachler im Ernstfall als extreme Bedrohung für die Sicherheit, nicht nur im Flugverkehr. Die 300 Anthrax-Hinweise in Österreich seien mit großem Einsatz verfolgt worden, sie hätten sich aber als Fehlalarme entpuppt.
Auf den Spagat zwischen optimalem Service und den bestmöglichen Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen macht Heribert Ressmann, Geschäftsführer der Vienna International Airport Security Services (VIAS), einer 100-prozentige Flughafen-Tochter, aufmerksam: "Einerseits müssten wir seit dem 11. September wie Fremdenlegionäre vorgehen und die Passagiere bis aufs letzte Hemd ausziehen. Andererseits wollen wir den Fluggästen eine komfortable und schnelle Abwicklung bieten."
Seit den Terroranschlägen sind die sorgfältig ausgewählten und geschulten VIAS-Mitarbeiter - ihr Zahl wurde in den letzten beiden Monaten um 50 auf 400 aufgestockt - mehr denn je gefordert. Sie sind für die Fluggastkontrolle am Check-in ebenso wie für die Kontrolle der Handgepäcksstücke, die Begleitung der Koffer, die Kontrolle der Flughafenzugänge (am Flughafen sind bis zu 11.000 Mitarbeiter verschiedener Firmen unterwegs!) 24 Stunden pro Tag und 365 Tage im Jahr im Einsatz. Die Kontrolle von insgesamt rund 30 Millionen Passagieren und 45 Millionen Handgepäckstücken geht auf ihr Konto.
Sicherheits-Checks: Von Nagelfeilen bis Motorsägen
Gefunden wurde auch schon in der Vergangenheit alles mögliche, "von Autobatterien bis zu Motorsägen", erinnert sich Ressmann. Als aber die US-Luftfahrtbehörde (FAA) nach dem Terroranschlägen rigorose Richtlinien für alle Amerikaflüge herausgab, wurde der Job der VIAS kaum mehr bewältigbar. Alle (!) spitzen und scharfen Gegenstände mussten den Passagieren und dem Bodenpersonal abgenommen werden. Dazu gehörten Nagelfeilen ebenso wie Metallessbesteck und Korkenzieher. Die Zahl der Abnahmen schnellte kurzfristig von durchschnittlich 800 "gefährlichen Gegenständen" monatlich auf die unglaubliche Spitze von 1.400 Abnahmen täglich. "Nagelfeilen dürfen jetzt wieder mit, Schweizermesser nicht", zeigt sich Ressmann von der inzwischen eingetretenen Normalisierung erleichtert. Nicht zuletzt waren seine Mitarbeiter mehr noch als sonst mit Klagen, Kommentaren und Wutanfällen der kontrollierten Fahrgäste konfrontiert gewesen.
Mit Beschwerden hat Ressmann auch hinsichtlich der Zufahrtskontrolle im Einzugsbereich des Flughafens zu tun. Ein Terrorist würde sich kaum mit einer Bombe am Schoß dem Gebäudekomplex nähern, werden die zeitraubenden Checks kritisiert. Ressmann verweist in diesem Zusammenhang auf die Auflagen des Gesetzgebers, die seit den US-Angriffen auf Afghanistan bestehen. Die nunmehrige "Sicherheitsstufe 2" erfordere eben stichprobenartige Kontrollen auf den Zufahrtswegen.
Ähnlich gute Sicherheitsstandards wie in Wien-Schwechat gebe es nur in Westeuropa, betont Ressmann und verweist auf den ausgezeichneten Ruf des VIA und des VIAS. Finanziert wird das hohe Sicherheitsniveau mit einer "Security Fee" von 60 Schilling, die jeder Fluggast zu bezahlen hat. Ein Betrag, der im Zug der verstärkten Sicherheitskontrollen vom Innenministerium bald erhöht werden könnte, wie Ressmann zugibt.
Neue Aufgaben kommen auf die VIAS mit den 2003 in der gesamten EU vorgeschriebenen Großgepäckskontrollen zu. Zu den bereits bestehenden zahlreichen Kontrolleinrichtungen wie "Door-Sonden", Hand-Sonden, Röntgengeräten und Video-Überwachung werden weitere Großgeräte angeschafft, die alle im Flugzeug beförderten Gepäckstücke durchleuchten sollen.
Autofahrt zum Flughafen bleibt am gefährlichsten
Die Fahrt mit dem Auto zum Flughafen ist nach wie vor der gefährlichste Teil einer (Flug-) reise. Das habe sich auch nach dem 11. September nicht geändert, weiß Kapitän Rudolf Rausch, Director Flight Safety und Qualitymanager Flight Operations bei Austrian Airlines. Er verweist auf 15.000 Flugzeuge, die heute weltweit unterwegs sind und auf "nur" 25 Totalverluste im laufenden Jahr. Bei sieben der Unglücksfälle habe es Tote gegeben, die vier infolge der Entführungen abgestürzten US-Maschinen miteingerechnet. Bei Inlandsflügen betrage das "Todesrisiko" lediglich 1:8 Millionen, bei internationalen Flügen auch nur 1:5 Millionen. Das Risiko, bei einem Autounfall getötet zu werden sei statistisch gesehen 42,5 mal höher.
Rausch hat noch mehr "beruhigende" Statistiken auf Lager: Die Überlebensrate bei Flugunfällen, die in den 30er Jahren nur 12 Prozent betragen hatte, ist in den 90er Jahren auf
28 Prozent gestiegen. Eine einigermaßen kontrollierte Wasserlandung überleben sogar durchschnittlich 41 Prozent aller Passagiere. Rausch zufolge müssen Flugzeuge so konzipiert sein, dass sie bei einer Wasserlandung mindestens vier Minuten nicht untergehen. In 90 Sekunden könne aber sogar ein Jumbo-Jet über die Rutschen evakuiert werden.
Trotz des dramatischen Anstiegs der Passagierzahlen - täglich fliegen weltweit mehr als 3 Millionen Passagiere - sei Fliegen nicht gefährlicher, sondern sicherer geworden, unterstreicht Rausch seine Zuversicht. Er steige heute mit dem gleichen Gefühl in ein Flugzeug wie zum Beginn seiner Karriere. Immerhin kann Rausch auf eine 25-jährige Laufbahn bei der AUA und auf 13.700 Flugstunden ("17 mal zum Mond") verweisen. In dieser langen Zeit habe er bei der Landung lediglich acht Mal durchstarten müssen, sechs Mal davon innerhalb von drei Wochen (!).
In diesem Zusammenhang erinnert Rausch an den Gefahrenverlauf eines Flugs - rund 75 Prozent aller Unfälle ereignen sich in der Start- oder Landephase - und an sehr unterschiedliche regionale Risken. So liege etwa das Todesrisiko bei einem Flug zwischen
Entwicklungsländern bei 1:400.000 (bei Inlandsflügen in Österreich: 1:8 Millionen; siehe oben).
Flugzeugtypen sowie die technischen Standards der Fluglinien gelten gleichfalls als Kriterium für den Risikograd eines Flugs. Während etwa die Aeroflot in ihrer Geschichte bereits 166 Totalverluste verzeichnen musste, kam die AUA immer durch. Nicht zuletzt spielen auch die Jahreszeiten eine Rolle, betont Rausch. Regen, Schnee, Eis, Wind und Nebel gelten etwa als zusätzliche Risikofaktoren.
Die seit dem 11. September getroffenen zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen im weltweiten Flugverkehr hält Rausch zum überwiegenden Teil für sinnvoll. Manche Maßnahmen - die Verriegelung der Cockpit-Türen oder der Einsatz von Lachgas im Passagierraum etwa - seien aber zu hinterfragen. Uneingeschränkt positiv aber beurteilt auch Rausch den international forcierten Einsatz von Sky Marshalls, von denen es etwa in den USA in der Vergangenheit nur 13 gegeben haben soll.