EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn will die EU gegen Einwanderung "sturmfest" machen.
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Wien. Mit dem Schließen der Grenzen entlang der Balkan-Route ist das Kalkül der österreichischen Regierung, den Flüchtlingsstrom aus der Türkei nach Mitteleuropa einzudämmen, aufgegangen. Vorerst jedenfalls. In Spielfeld werden kaum noch Asylanträge gestellt, auch Deutschland profitiert deutlich vom Schließen der Balkanroute. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge hat sich, seit Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien zu Wochenmitte die Grenzbalken herunterließen, von 500 auf knapp 100 (Stand vom Mittwoch) reduziert.
Dafür fürchten nun andere europäische Staaten wie Bulgarien, Albanien und Italien, dass sich Migranten neue Routen suchen könnten - Routen, die über ihr eigenes Staatsgebiet führen. Der Königsweg zur Lösung des Flüchtlingsproblems ist dabei das Errichten von Zäunen. So erwägt derzeit Bulgarien, seine Grenze zu Griechenland abzuriegeln. Sofia verlängert bereits einen Mitte 2014 errichteten, 30 Kilometer langen Zaun entlang der türkischen Grenze um 130 Kilometer. Laut griechischen Medien hat Bulgarien auch seine militärische Präsenz an der Grenze zu Griechenland verstärkt. Bereits vor einer Woche hatte die bulgarische Armee einen gemeinsamen Einsatz mit der Grenzpolizei und Gendarmerie an der Grenze zu Griechenland geprobt, um sich auf einen möglichen Flüchtlingsandrang vorzubereiten. Seitdem wurden an der griechischen Grenze 400 Soldaten stationiert; weitere 500 könnten nach Angaben von Regierungschef Boiko Borissow schnell folgen. Die Maßnahmen dienen allerdings derzeit nur der Vorbereitung auf einen Ansturm von Migranten. "Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Flüchtlinge, die sich in Richtung der bulgarischen Grenze bewegen", räumte Verteidigungsminister Nikolaj Nentschew ein.
"Wir müssen alles tun, um die Leute in der Region zu halten"
Bulgarien ist nicht der einzige Staat am Balkan, der Maßnahmen ergreift. Auch Albanien schickt sich an, seine Grenze zu Griechenland für Flüchtlinge dichtzumachen - mit italienischer Hilfe: Der italienische Innenminister Angelino Alfano hatte am Donnerstag in Brüssel angekündigt, er wolle mit Albanien Gespräche führen, wie mögliche Fluchtrouten geschlossen werden könnten.
Wird der europäische Kontinent, wird die EU somit immer mehr zu einer "Festung Europa"? EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn verneinte das bei einem Hintergrundgespräch mit Journalisten in Wien. Es gehe nicht darum, Europa zu einer Festung zu machen oder abzuschotten. "Aber wir müssen Europa sturmfest machen, wir müssen die Grenzen sichern", betont der Wiener mit Nachdruck. "Rund um Europa gibt es 20 Millionen Flüchtlinge, weltweit sind rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht, und das ist noch eine Untergrenze", sagte Hahn. Man müsse aus europäischer Sicht alles tun, um "die Leute in der Region zu halten". Das sei "sowohl billiger als auch menschlicher", fügte Hahn an: Er habe viele Flüchtlingslager besucht. "Jeder syrische Flüchtling, mit dem ich gesprochen habe, wollte zurück nach Syrien", führte der EU-Kommissar aus. Hahn lobte die Türkei dafür, dass sie den Flüchtlingen jetzt die Möglichkeit gebe, in der Türkei zu arbeiten - damit würden die Geflohenen in der Nähe ihrer Heimat bleiben können.
Bei allem Bemühen Hahns, Wörter wie "Festung" oder "Abschottung" zu vermeiden, nahm der EU-Kommissar doch deutlich Kurs auf eine restriktive Linie in der Flüchtlingspolitik. "Nur noch gut ein Drittel jener Migranten, die über die Türkei nach Europa fliehen, sind Flüchtlinge aus Syrien", betonte Hahn. Im Sommer seien es noch gut 80 Prozent gewesen. "Wir haben heute überwiegend Wirtschaftsflüchtlinge, meist aus Staaten wie Pakistan, Afghanistan oder Bangladesh", sagte Hahn. Dazu würden in Libyen hunderttausende Menschen aus dem subsaharischen Afrika nach Europa übersetzen wollen. "Die Lösung der Migrationskrise mit Schiffen der Nato ist in der Ägäis möglich, da beide Staaten, Griechenland und die Türkei, Nato-Staaten sind", erinnert Hahn. Da das aber sonst nirgends der Fall sei, sei die jetzt gefundene Lösung "kein Modell für eine europaweite Sicherung" der EU-Grenzen. "Meine Sorge ist, dass sich jetzt manche zurücklehnen und sagen: Wir brauchen nichts mehr machen", sagte Hahn.
"Grenzen dicht" ist auch die Parole Österreichs. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil fliegen am Samstag nach Bulgarien. Am Programm steht ein Besuch der Grenzanlagen an der bulgarisch-türkischen Grenze. "Die Balkanroute stillzulegen ist zu wenig", betonte Mikl-Leitner. "Wir wollen keine punktuelle Lösung und damit das Problem der Massen-Migrationsrouten auf andere europäische Länder verlagern." Ziel sei, dass "Massenmigration quer durch Europa" generell der Geschichte angehören müsse. "Es braucht die klare Botschaft, dass es generell keinen unkontrollierten Durchzug quer durch Europa mehr gibt, egal über welche Wege." Dann werde auch der "Migrationsdruck" von der Türkei nach Griechenland sinken, ist die Innenministerin überzeugt. Man müsse sich in der EU gemeinsam auf Ausweichrouten vorbereiten, mahnte auch Doskozil. "Unser Besuch in Bulgarien ist ein Signal, dass Österreich jene Länder unterstützt, die von Ausweichrouten betroffen sind."
Tausende harren immernoch in Idomeni aus
An der griechisch-mazedonischen Grenze harrten indessen am Freitag tausende Migranten aus. Rund 800 Menschen haben das Aufnahmelager bei Idomeni inzwischen verlassen. Etwa 600 Flüchtlinge hatten bereits am Donnerstag ihre Sachen gepackt, in der Nacht zum Freitag reisten rund 200 weitere ab, wie Reporter vor Ort berichteten.
Dennoch waren am Freitagmorgen noch immer mehr als 12.500 Menschen in Idomeni. Die Regierung in Athen plant vorerst nicht, das Elendslager gewaltsam zu räumen. Die Migranten werden in ihren Landessprachen informiert, dass die Westbalkanroute endgültig geschlossen ist. Ihnen wird geraten, in organisierte Aufnahmelager südlich der Grenze sowie im Raum Athen zu fahren. Unterdessen dauert der Flüchtlingszustrom von den griechischen Inseln im Osten der Ägäis zum Festland an. Am Freitag in der Früh kamen rund 900 Menschen von den Inseln Lesbos und Chios in der Hafenstadt Piräus an. Trotz der Nato-Mission kommen täglich hunderte Asylsuchende mit Schlauchbooten von der Türkei nach Griechenland. Allein am 9. März waren es nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR 3340 Menschen. Seit Jahresbeginn reisten 137.000 Flüchtlinge über die Türkei in den EU-Staat Griechenland ein.