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Europa muss krisensicherer und nachhaltiger werden

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
© unsplash, Christian Lue

Andere Weltregionen schauen nach vorne - die EU verharrt in einer Schockstarre.


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In wenigen Tagen jährt sich der erste Lockdown in Österreich. Die Pandemie hat die Europäische Union in eine tiefe Krise gestürzt - als hätte es davon im vergangenen Jahrzehnt nicht schon genug gegeben. Doch auch 2021 wirkt für viele Europäer wie das Jahr davor - mit noch strengeren Maßnahmen, mehr Einschränkungen und stärkeren wirtschaftlichen Verlusten. Während man in Asien beginnt, nach vorne zu schauen, und sich Ägypten, Dubai und andere Länder wieder auf Touristen aus aller Welt einstellen, verharrt die EU in einer Schockstarre. Das mag viele Ursachen haben: die Virusmutationen, die hohen Infektionszahlen, den Unwillen der Bevölkerung, sich an teils widersprüchliche Regeln zu halten - und nicht zuletzt das eher miserable EU-Krisenmanagement.

Dass die europäische Staatengemeinschaft nicht krisensicher ist, konnte man in der Finanzmarktkrise, in der Flüchtlingskrise und beim Brexit deutlich erkennen. Entscheidungen wurden getroffen, die nicht nachhaltig sind und rein auf Symptombekämpfung abzielen. Die Bankenrettung, die Flüchtlingsverteilungsfrage und die Corona-Politik kommen auf denselben Nenner: An der Bekämpfung der Ursachen haben Regierungen offenbar kein großes Interesse. Nicht anders ist zu erklären, dass Waffenlieferungen an "gemäßigte Rebellen" weiterhin gefördert werden, um sich jener Machthaber zu entledigen, die bei den USA in Ungnade gefallen sind.

Die Schließung europäischer Binnengrenzen, die man vor fünf Jahren unbedingt verhindern wollte, ist inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die neue Realität verlangt es so. Obwohl es dank intensiver Forschung bereits Impfungen und Tests gibt, bleibt die Bewegungs- und Reisefreiheit nach wie vor eingeschränkt. Ein negativer Corona-Test genügt nicht, es bedarf einer Quarantäne auf beiden Seiten der Grenze. Was macht das mit uns Europäern? Viel Austausch und gemeinsame Strategien sind jedenfalls nicht wahrnehmbar. Jeder Staat kocht sein eigenes Süppchen - und Österreich ist mit dabei.

Europa ist zur Teststation geworden. Österreichs Bundesregierung rühmt sich, "Spitzenreiter beim Testen" zu sein. Ein Lokalbesuch soll in Zukunft so ablaufen wie ein Check-in am Flughafen. Weitere Lockdowns verhindert man aber nicht durch Massentests. Nachhaltig wäre es, internationale Kooperationen zu bilden, die Impfungen und die Entwicklung von Medikamenten sicherstellen. Diese Investitionen wären vielleicht nicht so lukrativ wie Test-Kits, von denen zahlreiche Firmen profitieren. Nachhaltiger wären sie allemal.

Ist die Pandemie dann irgendwann tatsächlich überwunden, könnte Europa zu den globalen Verlierern zählen - aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht. Denn das Aufbauen alter Grenzen und die vielen Sonderwege der einzelnen EU-Mitgliedstaaten gehen an die Substanz. Daher ist eine große logistische Anstrengung notwendig, künftigen Krisen auf europäischer (und nicht mehr auf nationaler und bundesstaatlicher) Ebene zu begegnen. Das darf eine Kooperation mit außereuropäischen Experten nicht ausschließen -
ob diese nun aus den USA, China oder Russland kommen.