Wifo: "Konsolidieren ist Voraussetzung, Wachstum und Jobs sind die Ziele."
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Brüssel/Madrid. "Sparen" brüllen die einen, "Nein, wachsen" die anderen: Der Glaubenskrieg, wie Europa aus der Krise kommt, erreicht bisweilen hysterische Dimension. US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz warnte jüngst in Wien gar vor dem "Selbstmord" Europas durch übertriebenes Sparen. Und kurz vor der Wahl in Frankreich wird der Konflikt durch François Hollande und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel angeheizt.
Dabei ist Sparen nicht gleich Sparen und Wachstum nicht gleich Wachstum. Entscheidend ist: Europa muss beide Seiten unter einen Hut bringen. "Konsolidierung ist die Voraussetzung, Wachstum und Beschäftigung sind die Ziele. So lautet auch die Reihe der Prioritäten", erklärt Wifo-Chef Karl Aiginger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Den Firmen und der Bevölkerung müsse glaubhaft vermittelt werden, dass die lange Phase der staatlichen Konsolidierung, die nötig sein wird, zugleich eine Investitionsperiode sein kann: "Es ist kein ewiges Sparen um des Sparens willen." Wenn dieser Eindruck entsteht, stellen nämlich die Firmen ihre Investitionstätigkeit ein und die Konsumenten schließen die Geldbörse - was geradewegs in die Rezession führt.
Auf Wachstum "vergessen"
Große Konjunkturpakete, die nach dem Wirtschaftsabsturz 2009 geschnürt wurden, wären jetzt aber fehl am Platz. Solche Ausgabenprogramme seien angesichts der Staatsschuldenkrise nicht wiederholbar, warnt Italiens Regierungschef Mario Monti.
Statt kurzfristiger Konsumstimuli sind jetzt strukturell richtige Anreize gefragt, die Wachstum und Jobs bringen. Plakativ formuliert: statt der Abwrackprämie die Förderung fürs Elektroauto. Aiginger sieht viele mögliche Ansätze für intelligente Konsolidierung: Sparen bei ineffizienten Ausgaben, die kein Wachstum kosten. Die Arbeitskosten senken und Hürden für Unternehmen beseitigen. Steuern sollten nur erhöht werden, wo sie unerwünschtes Verhalten sanktionieren, auch wenn das unpopulär ist (Stichwort Tabak und Benzin).
Allmählich sei schon ein Umdenken zu bemerken: Mittlerweile würden von Ratingagenturen Länder bestraft, wenn sie keine Wachstumsinitiativen setzen. Auch unter den Führungskräften Europas reift die Erkenntnis, dass es eine ausgewogenere Wirtschaftspolitik mit Offensivmaßnahmen braucht. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat einen Wachstumsgipfel der Regierungschefs im Juni angeregt.
Aber wie glaubwürdig ist das? Ihre eigenen Wachstumsziele ("Lissabon", "Europa 2020") hat die EU samt und sonders verfehlt.
"Die EU besitzt seit Langem eine Wachstumsstrategie, hat diese aber nicht verfolgt", konstatiert Aiginger. So seien bei der Semesterbeurteilung, quasi der "Zeugnisvergabe" der EU, nur die Budgets der Staaten kontrolliert worden, auf die Wachstumsziele wurde vergessen. Das Wifo schlägt im Rahmen eines EU-Projekts vor, dass es Ziele und Meilensteine gibt, die Jahr für Jahr überprüft werden.
Spanien wächst erst 2014
Für Spanien, das im Zentrum der europäischen Sorgen steht, wird die Lage durch die Ratingabstufung noch prekärer. Die US-Agentur Standard&Poor’s (S&P) hatte die Bonität in der Nacht auf Freitag von A um zwei Stufen auf BBB+ gesenkt - auf ein Niveau mit Italien. Auch der Ausblick ist negativ. S&P begründete das mit den Problemen vieler spanischer Banken, die auf die Zentralbank angewiesen sind, und der stagnierenden Wirtschaft.
Die Regierung in Madrid rechnet frühestens in zwei Jahren mit der Trendwende: Erst 2014 soll die Konjunktur um 1,4 Prozent zulegen, sagte Wirtschaftsminister Luis de Guindos. Vorher sei nicht mit einem Stellenaufbau zu rechnen. Höhere Verbrauchssteuern ab 2013 sollen dem Staat acht Milliarden Euro in die Kassen spülen. Das belastet den Konsum aber noch mehr. Schon jetzt ist jeder vierte Spanier ohne Arbeit (24,4 Prozent im ersten Quartal). "Spanien befindet sich in einer Krise enormen Ausmaßes", räumte Außenminister Jose Manuel Garcia-Margallo am Freitag ein.