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Europa neu erfinden

Von Herbert Rauch

Gastkommentare
Herbert Rauch ist Gründer des Instituts für Sozialanalyse, seit 2000 in der NGO "European Sustainable Development" (ESD) und Buchautor ("Die Wende der Titanic", Oekom-Verlag).

Angesichts der offensichtlich unzeitgemäßen europäischen "Verfasstheit" sollte Europa neu ausgerichtet werden.


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In der Welt nach 1945 erstand Europa als "Friedensordnung" der einstmals einander bekriegenden europäischen Völker, vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs. Seit mehr als zwei Dekaden jedoch - dem Ende des Kommunistischen Ostblocks und der Vorherrschaft eines globalisierenden "Washington-Consensus" - sind wir in einer neuen Situation.

Europa ist jetzt - in der zweiten Welle der Finanzkrise - aufgerufen, sich nicht in eine Spaltung

Nordeuropa/Südeuropa hetzen zu lassen; vielmehr ist ein zeitgemäßer gemeinsamer Nenner zu formulieren. Europa kann Vorreiter auf einem Globus werden, der de facto bereits unter einem "planetarischen Imperativ" steht. Es liegt auf der Hand, dass in wenigen Jahren das ökologische Problem weltweit schlagend wird, wie es das soziale bereits ist. Was könnte dieser gemeinsame Nenner sein?

Lateinamerika, Afrika und auch Asien schauen gebannt auf die globale Entwicklung - vorrangig noch damit befasst, wo sie selbst dabei landen werden. Die USA sind nicht mehr in einer übermächtigen Position wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber Europa ist seit der Finanzkrise 2008 für viele Menschen weltweit zu einem Fragezeichen geworden: Wie wird sich diese historisch gewachsene europäische Tradition - die wohl Liberalismus, Marxismus und Soziallehren schon länger kennt - weiterentwickeln? Jetzt, wo es immer mehr "kontextgemäßer Koordinaten" bedarf, also auch der Natur rundum Tribut zu zollen ist.

Soll der wirklich heißen Systemfrage (weg von der umsatzbesessenen Rendite-Wirtschaft, hin zu einer "Lebenszivilisation") nochmals ausgewichen werden? Oder kann sich Europa zu einer Vorreiter-Position aufschwingen? Solch ein Aufschwung müsste nicht nur in den Köpfen, sondern auch institutionell stattfinden:

Sollte das Gemeinwohl legistisch so abgesichert werden, dass es Partikularinteressen nicht aushebeln können? Sollte man zum Beispiel die Wirtschaftsordnung Unternehmertum - insbesondere die KMU - ökosozial fördern und gleichzeitig Einkommen nach unten und oben eingrenzen, ebenso Marktanteile?

Sollte es einen "europäischen Grunddienst" geben (etwa ein Sozialjahr, das alle wichtigen Bereiche - Katastrophendienst, Soziales, Infrastruktur, Sicherheit - abdecken kann), verbunden mit einer "europäischen Grundsicherung" (etwa gekoppelt an eine Mindestbeschäftigung, die auch in akkreditierten Assistenzdiensten denkbar ist)?

Hat der alte Eigentumsbegriff ausgedient? Ist eine angemessene Neufassung - jenseits von Kommunismus und Kapitalismus (den produktivistischen Güterheilslehren) - nötig, etwa durch Differenzierung in "kleines" (Haushalte) und "großes" Eigentum (Investitionen)?

Die EU - mit einem Binnenhandel von fast 90 Prozent - ist autark genug, um eine Pionierrolle am Beginn einer "planetarischen Epoche" zu spielen. Viele Staaten und Großregionen weltweit warten darauf und werden froh sein, wenn endlich ein starker "Global Player" den Mut hat, die notwendigen ersten Schritte zu setzen.