)
Er war nicht einmal selbst anwesend und trotzdem Gesprächsthema Nummer 1 auf der Sicherheitskonferenz in München: Mit seiner Kritik an der momentanen Verfasstheit der NATO löste Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder eine neue Debatte über die Zukunft des Bündnisses aus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die NATO, so ließ am Wochenende der wegen Grippe verhinderte Schröder die exklusive Zuhörerschaft über seinen Verteidigungsminister Peter Struck wissen, sei nicht mehr der erste Ort für die Konsultierung und Koordinierung der strategischen Vorstellungen der Partner. Im Mittelpunkt der Schröderschen Kritik stand die schiefe Bahn, auf der der Dialog zwischen Europa und den USA ablaufe: Dieser entspreche weder dem Gewicht der Union noch den neuen Anforderungen für die transatlantische Zusammenarbeit, stellte Schröder fest. Eine Gruppe unabhängiger Experten solle nun Ideen für eine neue Organisationsform des Bündnisses erarbeiten, so sein Vorschlag.
Der rhetorische Vorstoß Schröders sorgte für einige Wellen unter den hochrangigen Teilnehmern. Vor allem NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer zeigte sich - offensichtlich nicht vorgewarnt - irritiert, und auch im Hauptquartier in Brüssel schlugen die Alarmglocken. Unter den Experten hat angesichts einiger missverständlicher Passagen sogar das Schlagwort vom "Informationsdesaster" der Bundesregierung die Runde gemacht. Nur einer reagierte äußerlich unbeeindruckt auf den forschen Vorstoß nach einer grundlegenden Reform für die NATO: US-Außenminister Donald Rumsfeld. Er lobte das Bündnis geradezu überschwänglich, ohne jedoch vom Standpunkt der USA abzurücken, nach dem die Mission über die Koalition, und nicht die Koalition über die Mission entscheidet. Für grundlegende Änderungen sieht er also offensichtlich keinen Bedarf.
Wenig überrascht reagieren auch österreichische Experten im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" auf die Debatte. "Die notwendige Transformation der NATO ist in Deutschland einfach ein Thema", erklärt Heinz Gärtner, Sicherheitsexperte am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP), den Vorstoß. Ziel der EU ist es, langfristig selbst im Bedarfsfall auf NATO-Truppen zugreifen zu können. Dafür bedürfe es jedoch einer stärkeren Rolle der Union in der NATO. Schwerpunkt der EU-Aktivitäten werde dabei sicherlich die Peace-Keeping-Schiene sein. Allerdings, schraubt Gärtner das Ausmaß der allgemeinen Aufregung herunter: Allzu viel werde sich nicht verändern, die Dinge entwickelten sich ohnehin bereits in diese Richtung.
"Mangelnde Sorgfalt" attestiert der Leiter des Büros für Sicherheitspolitik, Erich Reiter, den Redenschreibern Schröders. Die schlampige Ausarbeitung der von Struck vorgetragenen Rede habe erst den großen Bedarf an Schadensbegrenzung - unter anderem durch Außenminister Joschka Fischer - nach sich gezogen, so Reiter, der als einer von nur drei österreichischen Experten in München dabei war. In der Sache selbst ist Reiter skeptisch, ob die Bemühungen der EU angesichts des geringen US-Interesses an Veränderungen des Status quo etwas bewirken können.
Insgesamt sei in München ein Neustart in den in der Vergangenheit vertrackten transatlantischen Beziehungen versucht worden, urteilt Reiter. Allerdings sieht er den nächsten Konflikt bereits heraufdämmern: Die EU will innerhalb des nächsten halben Jahres eine Entscheidung über die Aufhebung des Waffenembargos gegenüber China erreichen, die USA halten dies für ein völlig falsches Signal.