Oberste Priorität nach dem Wahltriumph der Fidesz ist ein Gesetz gegen missliebige NGOs.
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Budapest/Wien. Am ausgelassensten war die Freude über Viktor Orbáns Wahltriumph auf europäischer Ebene bei Gruppierungen, in denen die ungarische Fidesz nicht gar Mitglied ist. Bei der nächsten Europa-Wahl 2019 könnten jetzt Nationalisten triumphieren, hofft Marine Le Pen. Ihre rechtspopulistische Bewegung bildet unter anderem mit der FPÖ im EU-Parlament die Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit. "Orban betreibt nachhaltige und unbeirrte Politik für die Menschen seines Landes", schrieb FPÖ-Obmann und Vizekanzler Heinz-Christian Strache. "Gute Arbeit, Premier Orbán!", kam vom Chef der italienischen Lega, Matteo Salvini. Bejubelt wurde Orbán auch von der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei PiS; sie gehört den Europäischen Konservativen und Reformern an.
Kritik kam aus den Reihen von Orbáns europäischer Parteiheimat, der Europäischen Volkspartei (EVP). "Der Wahlerfolg rechtfertigt diese Politik, die Sprache, den Antisemitismus, die Korruption und den Nationalismus nicht", sagte Othmar Karas. Doch der ÖVP-Abgeordnete im EU-Parlament vertritt eine Minderheitenposition innerhalb der EVP. Bundeskanzler Sebastian Kurz hingegen erklärte: "Ungarn ist für Österreich ein wichtiger Nachbar und Wirtschaftspartner."
Mit Abstand wichtigste Kraft in der EVP ist die deutsche Union aus CDU und CSU. Dort wird weiter auf die Taktik gesetzt, Orbán von innen heraus zu zähmen; denn die zwölf Fidesz-Abgeordneten fallen in der 219 Personen starken Fraktion nicht ins Gewicht. Er freue sich darauf, mit Orbán "weiter an gemeinsamen Lösungen für europäische Herausforderungen zu arbeiten", schrieb EVP-Fraktionsvorsitzender Manfred Weber. Dessen CSU ist Orbán traditionell wohlgesonnen. Die Partnerschaft fußt auf der in Ungarn stark vertretenen bayerischen Industrie und in der Ablehnung von Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Deutschlands Kanzlerin bot Orbán an, "sowohl bilateral als auch im Rahmen unserer gemeinsamen EU-Mitgliedschaft und der uns in Europa einenden Werte weiter die Zusammenarbeit voranzutreiben".
Doch mit der Zweidrittelmehrheit in der Tasche stellt Orbán gleich am Tag der Wiederwahl die gemeinsamen Werte infrage. Bereits im Mai könnte das neu zusammengesetzte Parlament ein Gesetz gegen regierungskritische Nichtregierungsorganisationen beschließen. "Es ist eine Frage der Souveränität, es geht um die Sicherheit des Landes", sagte Fidesz-Fraktionssprecher János Halász. Orbáns Partei bezichtigt NGOs, diese würden einen geheimen Plan zur Ansiedlung von zehntausenden Migranten in Ungarn verfolgen - allen voran jene, die von George Soros beziehungsweise Stiftungen des ungarischstämmigen US-Milliardärs unterstützt werden. Einen Beweis dafür blieb der Premier stets ebenso schuldig wie für die Aussage, Europa solle seiner "christlichen und nationalen Identität" beraubt werden. Doch Organisationen, die Flüchtlingen helfen und Unterstützung aus dem Ausland erhalten, müssen mit einer 25-prozentigen Strafsteuer rechnen. Flüchtlingshelfer sollen keinen Zutritt mehr zum Grenzgebiet haben und Ausländer, die Migranten helfen, des Landes verwiesen werden. Dank des ungarischen Wahlrechts, das sogar einer Partei mit nur 48,6 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit an Mandaten ermöglicht, können die Fidesz-Abgeordneten nun die Verbotsbestimmungen beschließen.
Gesetze wie diese rühren jedoch am Kern der europäischen Identität. Vollzieht Ungarn das Vorhaben tatsächlich, reiht es sich in die "Demokraturen" vom Schlage Russlands und der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken ein, in denen Rechtsstaatlichkeit ein Vorrecht des politisch Stärkeren und Reicheren ist.
Hierin liegt der Kern der Problematik mit Ungarns "illiberaler Demokratie", nicht, ob das Land für oder gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ist. Denn in der Sache ist Orbán nicht alleine. Auch der zwischenzeitlich abgewählte tschechische Premier Bohuslav Sobotka lehnte eine verpflichtende Quote ab, verzichtete dabei aber auf Polemik. Einzigartig und uneuropäisch ist die Verbreitung von antisemitischen Ressentiments, wie im Fall Soros, von Verschwörungstheorien aus den Reihen einer Partei, die der gemäßigten Rechten angehört.
Kein Politiker in der Europäischen Union konnte oder wollte Orbán bisher entscheidend Einhalt gebieten. Und das Bündnis der ungarischen mit der polnischen Regierung bewahrt beide Länder vor weitreichenden Sanktionen bei Rechtsbrüchen; so auch vor dem Stimmentzug im Ministerrat, jenem Gremium, in dem die Ressortchefs aus den EU-Mitgliedsstaaten zusammentreffen.
Mit diesen Gewissheiten im Rücken wird sich Orbán weiter als Gegenspieler zum "Brüsseler Establishment" inszenieren. Das kommt insbesondere im ruralen Ungarn an, wo Orbán nahestehende Oligarchen den Markt kontrollieren und kritische Medien wenig verfügbar sind. Dort dringen die Nachrichten über Skandale und Korruption in der Fidesz nicht zu den Bürgern durch. Gleichzeitig verfängt die Mär des "Soros-Plans" zur Unterwanderung Ungarns. Außerhalb Budapests errang Fidesz 88 von 91 Direktmandaten.