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Der Betriebslärm um Euro und EU deutet auf Panik hin - nicht bei den Bürgern, sondern bei den Europapolitikern, die keinen Ausweg kennen.
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Die Euro-Krise hat innerhalb weniger Wochen Europas Hauptcharakteristikum deutlich gemacht, das man nur zynisch als "kulturelle Vielfalt" definieren kann. Die Risse gehen quer durch den Kontinent - die fünf Krisenstaaten Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien werden bereits mit der Abkürzung Piigs benannt, die phonetisch klingt wie das englische Wort für "Schweine". Frankreich und Deutschland sind fallweise über Kreuz, das Nicht-Euro-Land Schweden ist verstimmt, das Nicht-EU-Land Schweiz gerät in Verdacht, Trittbrettfahrer zu sein. Dass die Bürger mit ihren Politikern nicht mehr mitkommen, zeigten die Wahlen in Nordrhein-Westfalen und in Großbritannien.
Wenn jetzt auch schon der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt in der "Zeit" die "Führungslosigkeit der Europäischen Union" brandmarkt, sollte man langsam auch nachdenken, wie Führernaturen beschaffen sein könnten. Europäern des deutschen Sprachraums wird dabei der Gebrauch des unverfänglichen Wortes "Leaders" statt Führer empfohlen. Über diesen anglizistischen Umweg ist die Erkenntnis zu retten, dass Führungsqualitäten gerade in den besten aller Demokratien nötig sind.
In der Tat: Persönlichkeiten mit Charisma gab es bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Die großen Europäer Robert Schuman und Jean Monnet gehörten dazu. Konrad Adenauer ist nicht wegzudenken. Ohne Julius Raab und Leopold Figl wäre vor 55 Jahren der Staatsvertrag nicht zu Stande gekommen. Der Franzose de Gaulle hat viele Jahre das Amerika-kritische Lager Europas angeführt. Ohne die unbeugsame europäische Vision des Bundeskanzlers Helmut Kohl wäre die deutsche Einigung nicht durchführbar gewesen, denn auch damals war Europa so, wie es ist. Über seine damalige britische Konkurrentin, Premierministerin Margret Thatcher, berichtet er, dass sie beim Gedanken an ein geeintes Deutschland "fauchte" und "außer sich vor Wut stampfte". Helmut Schmidt bestand als Bundeskanzler zwei härteste Prüfungen - in Abwehr eines den Staat gefährdenden RAF-Terrorismus und im Bekenntnis zur westlichen Verteidigungsbereitschaft, Stichwort "Nato-Nachrüstung".
Aber selbst die Engländer, die ihr peinliches Europa-Defizit mit dem neuen Außenminister William Hague offenbar fortsetzen werden, sind nicht völlig blank - die Chronik der europäischen Einigung beginnt mit der Zürcher Rede Winston Churchills am 19. September 1946 und deren Kernsatz: "Wir müssen eine Art Vereinigter Staaten von Europa schaffen."
Gibt es keine Führungstypen mehr? Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen politischen Slalom hinter sich, der solche Zweifel nährt. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist schon wegen des typischen Machtanspruchs seiner Nation ein fragwürdiger Held. Analysiert man aber nachträglich die politische Biografie historischer Helden - sie haben alle ihre Pirouetten gedreht, mit Kleingeld gehandelt und innenpolitisch geschummelt. Führung ist offenbar nicht nur Charisma, sondern auch Handwerk. Man muss im rechten Moment den richtigen Gesprächspartner ans Telefon bekommen.
Womit bezüglich der Euro-Krise noch ein Schimmer Hoffnung in die unübersichtliche europäische Werkshalle fällt: Wir Zeitgenossen könnten das, was schmerzlich zu fehlen scheint, bloß noch nicht wahrnehmen.
Der Autor ist Sprecher der
"Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt,
Presse und Salzburger Nachrichten.