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Europa schottet sich weiter ab

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Flüchtlinge im Mittelmeer sollen früher geortet werden.


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Brüssel/Straßburg. Sie sollen schneller entdeckt werden - um im Extremfall gerettet, ansonsten aber an der Einreise nach Europa gehindert zu werden. Im Umgang mit Flüchtlingen setzt die Europäische Union einmal mehr auf verschärfte Grenzkontrollen und Sicherheitsaspekte. So hat das EU-Parlament bei seiner Plenarsitzung in Straßburg mit großer Mehrheit für das Überwachungssystem Eurosur gestimmt, das unter anderem dafür sorgen soll, über das Mittelmeer fliehende Menschen früher zu orten.

Das neue Instrument, das ab Jahresende funktionieren soll, lässt sich die Union bis 2020 rund 244 Millionen Euro kosten. Zum Vergleich: Italien erhält für diesen Zeitraum aus EU-Fördertöpfen voraussichtlich 310 Millionen Euro für Maßnahmen zu Asyl und Migration.

Doch soll illegale Einwanderung schon vor den Grenzen Europas bekämpft werden - und Eurosur soll seinen Beitrag dazu leisten. Nach Angaben der EU-Kommission soll das System dabei helfen, Schleppern und anderen über Grenzen hinweg tätigen Kriminellen das Handwerk zu legen, Migration zu verringern und Flüchtlingen in Seenot zu Hilfe zu kommen. Das soll über bessere Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten erfolgen: Polizei, Küstenwache oder Grenzschutz sollen schneller Informationen - die sie unter anderem durch Satellitenbilder erhalten - etwa über den Standort von Flüchtlingsbooten austauschen. Nationale Zentren sollen die Tätigkeiten koordinieren und dabei auch mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeiten. So könnten nicht nur Rettungsaktionen gestartet, sondern Lagebilder und Risikoanalysen beispielsweise über Schmuggelrouten erstellt werden.

Das Vorgehen gegen Kriminelle rückt denn auch die konservative Fraktion im EU-Parlament in den Vordergrund. Die EU müsse Vorkehrungen treffen, "um Migranten von der von Schleppern organisierten gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer abzuhalten", erklärt der Sicherheitssprecher der ÖVP-Delegation, Hubert Pirker. Und Eurosur trage dazu bei, "skrupellose Schlepperei" effizienter auszuforschen und zu unterbinden.

Unterstützung für den neuen Mechanismus kam im Abgeordnetenhaus auch von den Sozialdemokraten.

Einwände äußerten hingegen die Grünen. Statt eines Systems zur Flüchtlingsrettung hätten die Mandatare eines zur Flüchtlingsabwehr angenommen, kritisierte die EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek. Künftig sollen die Staaten zwar Frontex darüber informieren, wenn Flüchtlinge in Seenot geraten - mehr zu deren Lebensrettung müssten sie aber nicht unternehmen.

Migration als Ländersache

Ähnlich sehen das Menschenrechtsorganisationen. "Es braucht Schutz der Flüchtlinge vor ihren Verfolgern, nicht Schutz der EU vor Flüchtlingen", meint Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. Die Organisation fordert ein Umdenken der EU: Unter anderem dürften Flüchtlinge nicht kriminalisiert werden, wenn sie nach Europa einreisen, und sollten ein faires Verfahren erhalten statt verhaftet zu werden.

Aber auch die Sozialdemokraten, die für Eurosur gestimmt hatten, wünschen sich weitere Schritte. "Wir müssen den Herkunftsländern helfen, um dort die Bedingungen zu ändern, die Menschen zur Flucht zwingen", findet Fraktionsvorsitzender Hannes Swoboda. Ebenso bräuchten Transitländer wie Tunesien und der Libanon Unterstützung.

Migrationsexperten weisen allerdings darauf hin, dass sich illegale Einwanderung nicht wirkungsvoll bekämpfen lässt, solange es keine Maßnahmen für legale Migration gibt: Wenn es keine regulären Möglichkeiten der Einreise gebe, würden verstärkt die irregulären genutzt. Diesen Zusammenhang stellen auch einige EU-Abgeordnete her. So plädiert der FDP-Mandatar Michael Theurer dafür, den Druck der illegalen Migration zu vermindern, indem ein System der kontrollierten Zuwanderung wie in Kanada oder Neuseeland ein Ventil schafft. "Es ist paradox, dass in Europa aufgrund des demografischen Wandels ganze Dörfer leer stehen und gleichzeitig dabei zugeschaut wird, wie vor Lampedusa Menschen ertrinken", findet der deutsche Liberale.

Von einer gemeinsamen Linie bei der Einwanderungspolitik sind die Mitgliedstaaten der EU jedoch noch weit entfernt. Die Kompetenz dafür möchten nämlich die meisten Länder jeweils bei sich selbst belassen. Der Kommission fällt es daher schwer, Vorschläge für neue EU-weite Migrationsregeln auszuarbeiten. Sie weiß, dass diese bei etlichen Mitgliedern auf Ablehnung stoßen würden.