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Europa schweigt zu Orbáns Tiraden

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bleibt mit seiner Forderung nach EU-Ausschluss Ungarns alleine.


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Budapest. Europas Politik hat sich wohl damit abgefunden, dass Viktor Orbán dem Kontinent als Chefpropagandist gegen Flüchtlinge aus dem islamischen Raum erhalten bleibt. Auf seine Jahresrückblick-Rede am Sonntag in Budapest, in der er wie schon unzählige Male zuvor "Brüssel" und dem Philanthropen George Soros vorwarf, Westeuropa mit Muslimen überschwemmen zu wollen, folgte nur schwacher politischer Protest. Lediglich der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn verlangte Ungarns Ausschluss aus der EU und bezeichnete Orbán als "Diktator". Derartige Vorwürfe prallen ab, zumal EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den rechtsnationalen ungarischen Regierungschef schon 2015 in Brüssel mit der Anrede "Da kommt der Diktator" auf den Arm genommen hatte. Zudem ist Asselborn als Sozialdemokrat aus Sicht der Budapester Regierenden sowieso nicht ernst zu nehmen.

Zurück zur Zwei-Drittel-Mehrheit

Ernst nimmt Orbán hingegen die Frage, ob seine Partei Fidesz bei der Parlamentswahl am 8. April wieder die Zweidrittelmehrheit gewinnt, die sie 2014 knapp verloren hatte. Diese Mehrheit aber braucht Orbán für sein nächstes Großprojekt, nämlich das Gesetzespaket, das Vereine handlungsunfähig machen soll, die Flüchtlingen helfen. Am Dienstag begann die Debatte über das Gesetzespaket unter dem Namen "Stopp Soros" - zur Abstimmung soll es aber erst nach der Wahl kommen. Warum aber wird darüber schon jetzt debattiert? Damit das Thema im Wahlkampf benutzt werden kann. Wie wichtig Orbán dieses Timing war, zeigt sich daran, dass der Gesetzesentwurf eilig, noch voller Tippfehler veröffentlicht wurde, wie dem Nachrichtenportal "index.hu" auffiel.

"Stopp Soros" zufolge sollen Hilfsorganisationen nur dann Flüchtlinge unterstützen dürfen, wenn sie eine Genehmigung des Innenministeriums bekommen. Ihre Spendeneinnahmen aus dem Ausland sollen mit 25 Prozent besteuert werden. Flüchtlingshelfer sollen keinen Zutritt mehr zum Grenzgebiet haben. Ausländer, die Migranten helfen, sollen des Landes verwiesen werden. Mehr als 200 europäische Menschenrechtsorganisationen protestieren in einem gemeinsamen Brief gegen das Vorhaben.

Die Kritik von diesen Seiten hilft Orbán, sich als Opfer fremder Mächte zu stilisieren. Er war stets ein Meister darin, die Themen zu bestimmen, über die im Land diskutiert wird. Die Furcht vor einer vermeintlich drohenden Flüchtlingslawine verbindet viele Ungarn, auch Orbán-Gegner.

Ungarns Jugend klar pro EU, aber demokratieskeptisch

Obwohl die EU die wichtigste Reibungsfläche ist, an der sich Orbán als Freiheitskämpfer zu profilieren sucht, wählt er auch bei rüden Attacken seine Worte sehr genau. In seiner Rede vom Sonntag kam das Wort "EU" kein einziges Mal vor, dafür das Wort "Brüssel" viermal, jedes Mal in negativen Zusammenhängen, "Soros" 13 Mal. "Europa" und "europäisch" kamen 29 Mal vor, immer positiv besetzt. Den Grund dafür haben ungarische Journalisten schon vor einiger Zeit analysiert: "EU" klinge für viele Ungarn positiv, "Brüssel" schwingt hingegen klanglich negativ. Laut Eurobarometer-Umfrage vom März 2017 befürworten immerhin 48 Prozent der Ungarn die EU-Mitgliedschaft - um einen Prozentpunkt mehr als im Vorjahr. Laut einer Bertelsmann-Umfrage aus 2017 sind sogar 79 Prozent der 16- bis 24-Jährigen für die EU. Sie lagen dabei auf Platz zwei hinter den deutschen und vor den österreichischen Altersgenossen. Befragt wurden dabei auch Jugendliche aus Polen, Tschechien und der Slowakei. Schlusslicht waren die Ungarn hingegen in derselben Umfrage zum Thema Demokratie: Nur 48 Prozent hielten die Demokratie für die beste Regierungsform.

EU ja, Demokratie nein? Orbán strebt keinen EU-Austritt an. Im Gegenteil. Er will sich die EU unterwerfen. Auch das verriet seine Budapester Rede. Er rühmte sich, dass er in Europa immer mehr Zustimmung bekomme: In Österreich, Bayerns CSU, Polen, Tschechien und in der Slowakei, Kroatien stünde hinter ihm und - wie er hoffte - bald auch Silvio Berlusconi an der Regierungsspitze Italiens. "Wir sind dabei zu siegen", frohlockte Orbán.