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Vor dem Urnengang für das Europäische Parlament schneiden extrem nationalistische Parteien in Umfragen gut ab.
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Brüssel. Nach der Wahl ist vor der Wahl - und das macht derzeit viele Parteien nachdenklich. In sieben Monaten werden die Bürger der Europäischen Union zu den Urnen gerufen, um über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments zu entscheiden. 751 Mandate werden vergeben, der Wahlgang dauert von 22. bis 25. Mai 2014. Von Stornoway im Westen Schottlands bis Burgas am Schwarzen Meer, von Estland bis Zypern wählen Bürger ihr gemeinsames Parlament.
Ein erhebendes Schauspiel sollte man meinen, doch die Verhältnisse sind anders. Im Parlamentsgebäude in Brüssel wird derzeit viel nachgedacht, wie erstens die Wählerinnen und Wähler stärker Vertrauen zu Europa fassen können und wie Europa mit etwas anderem als Krise assoziiert wird. In einer aktuellen Gallup-Umfrage sind die Euro-Skeptiker mit 43 Prozent fast gleichauf mit den Euro-Optimisten (40 Prozent). In 16 der 28 EU-Länder gibt es aber eine Mehrheit für einen Rückbau der EU, mehr Entscheidungen sollten in die Länder "zurückgeholt" werden. Griechenland-Rettung, Euro-Rettung und die unglaublich teuren Bankenrettungsprogramme haben das Vertrauen der Bürger erschüttert.
Die Ernte könnten - so die Befürchtung in den EU-Hauptstädten und Brüssel - extrem rechte Parteien einfahren. In Österreich rechnet sich die FPÖ Gewinne aus, auch in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Finnland, Dänemark, Polen und Ungarn stehen nationalistische Parteien in den Umfragen blendend da. Und in Deutschland wird damit gerechnet, dass die AfD den Einzug schafft - eine Partei, die den Euro abschaffen will.
Nationalisten und EU - wie geht das?
Und dies alles auf Kosten der großen Fraktionen Konservative (EVP) und Sozialdemokraten (SPE). Der sozialdemokratische Abgeordnete Jörg Leichtfried ist immerhin kämpferisch. "Nationalisten können nicht grenzüberschreitend Politik machen, denn sie sind ja Nationalisten. Wir müssen das den Menschen sagen und zeigen, dass die Abgeordneten der FPÖ in dieser Legislaturperiode genau nichts getan haben außer Reden zu halten, die niemand interessierten." Leichtfried ist aber auch selbstkritisch. "Wir haben verlernt, mit unseren Ideen auf die Straße zu kommen." Geplant ist ein kurzer, etwa vierwöchiger Wahlkampf. Doch schon mit Jahreswechsel werden die Europapolitiker in ihren Wahlkreisen unterwegs sein, um zu den "Menschen auf der Straße zu kommen".
Österreich wird künftig 18 Abgeordnete stellen, drei weniger als bisher. Der Wahlsieger 2009 hieß Volkspartei - dank Othmar Karas, der viele "Protest"-Vorzugsstimmen erhielt, weil ihm Ernst Strasser als Spitzenkandidat vor die Nase gesetzt wurde. Sechs Mandate hat die ÖVP, doch es ist fast aussichtslos, diesen Stand zu halten. Erstens wegen der geringeren Zahl, zweitens drohen auch bei der EU-Wahl die Neos im Wählerreservoir der ÖVP zu wildern. Die Sozialdemokraten stellen derzeit fünf Abgeordnete, sie fuhren 2009 mit 23,7 Prozent ein grottenschlechtes Ergebnis ein. Ob Liste Martin und BZÖ ihr Ergebnis wieder erreichen können, wird von Polit-Beobachtern bezweifelt. Die FPÖ verdoppelte sich schon 2009 auf 12,5 Prozent.

"Viele Menschen haben Angst vor einer Verschlechterung, auch in Ländern wie Deutschland und Österreich. Und diese Angst führt zu einem Wahlverhalten, das demokratiepolitisch problematisch ist", sagt Leichtfried. Auch der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, sieht es als essenziell an, "jungen Menschen Hoffnung zu geben. Wir müssen viel mehr für Jobs tun und Firmengründungen erleichtern."
Gerüchte um Othmar Karas und Jean-Claude Juncker
Und - so das parlamentarische Mantra - den Bürgern das Gefühl geben, dass sie mit der Stimme etwas erreichen können. Die SPE wird daher den jetzigen Parlamentspräsidenten Martin Schulz, einen Deutschen, als europaweiten "Spitzenkandidaten" präsentieren. "Wir möchten, dass der Spitzenkandidat der dann stimmenstärksten Fraktion Kommissionspräsident wird", sagt Leichtfried. "Da würde die Wahl auch ein Gesicht bekommen."
Die konservative Europäische Volkspartei drückt sich noch um eine Festlegung auf einen Spitzenkandidaten. In Brüssel wird derzeit versucht, Othmar Karas in Stellung zu bringen. Karas ist immerhin Vizepräsident des Parlaments. Aus anderen konservativen Parteien kommt der Vorschlag, den Luxemburger Jean-Claude Juncker für eine Kandidatur zu gewinnen. Juncker will davon nichts wissen, schlägt er doch am Sonntag Wahlen im Großherzogtum - mit sehr guten Chancen, daraus als Sieger hervorzugehen. Ob er danach ebenfalls noch ablehnt, wird in Brüssel unterschiedlich kommentiert. "Er würde sich in letzter Konsequenz einem Ruf der EVP nicht verschließen", glaubt ein konservativer Abgeordneter unter Zusicherung von Anonymität.
Endgültig wird man es wohl erst im März 2014 wissen, wenn die EVP auf einem Konvent die Wahl vorbereitet. Die europäischen Sozialdemokraten werden sich Ende Februar in Rom treffen. Auch die Grünen werden erst bei einem europäischen Treffen ihre Spitzenkandidaten küren. Bei den Liberalen könnte der jetzige Fraktionsführer Guy Verhofstadt mit dem finnischen EU-Finanzkommissar Olli Rehn einen Konkurrenten bekommen, wird in Brüssel gemutmaßt.
Tatsache ist auch, dass das künftige Europaparlament viele neue Gesichter erhalten wird, da es in vielen der "Mutterparteien" in den Mitgliedsländern zu Veränderungen gekommen ist und neue Leute herandrängen. Hannes Swoboda könnte auf eine Kandidatur verzichten, heißt es. Und auch österreichische EVP-Abgeordnete werden getauscht. Hubert Pirker hört auf, und die Volkspartei will mehr Frauen auf die Liste nominieren. Derzeit ist Agrar-Expertin Elisabeth Köstinger die einzige Frau in der Delegation.
Die Wahl bringt viele neue Gesichter
In einem sind sich die Parlamentarier über alle Parteigrenzen hinweg aber einig: Mit dem wüsten Postenschacher der Regierungschefs im Europäischen Rat muss nach der Wahl 2014 Schluss sein. Bisher schnapsten sie sich den Kommissionspräsidenten untereinander aus. "Das führt auch zu Verdrossenheit, wir müssen den Bürgern signalisieren, dass ihre Wahl ernst genommen wird", sagt Leichtfried zu Journalisten in Brüssel.
Ob die Wahlbeteiligung, die im Jahr 2009 bei mageren 46 Prozent gelegen war, steigen wird, hängt aber auch von den Frauen ab. Mit 44 Prozent waren sie 2009 deutlich wahlfauler als die Männer, bei denen es 50 Prozent an die Urnen schafften . . .