Europas Rechtspopulisten übernehmen die Narrative Moskaus, sagt der ukrainische Wissenschafter Anton Shekhovtsov. Russlands Einfluss werde jedoch übertrieben. Auf die Ergebnisse der EU-Wahlen werde er sich nicht auswirken.
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"Wiener Zeitung": Der "Spiegel" hat kürzlich aufgedeckt, wie der Kreml AfD-Politiker als "nützliche Idioten" für seine Interessen nutzt. Wie ist das in Österreich?
Anton Shekhovtsov: Die Situation ist eine ganz andere. Das Establishment in Deutschland ist den Russen gegenüber recht skeptisch. In Österreich hingegen sind alle großen Parteien, auch die ÖVP und die SPÖ, mit dem Kreml recht gut gestellt. Österreich kann zwar den europäischen Konsens, etwa was die Sanktionen gegen Russland betrifft, nicht beeinflussen, aber die guten Beziehungen zur Politik nutzen Moskau dennoch. Es will sich darüber hinaus nicht in die Politik einmischen, wie es das etwa in Deutschland oder Frankreich versucht.
In Österreich kam Russlands Präsident Wladimir Putin zur Hochzeit der Außenministerin. Rennt er hier also offene Türen ein?
Ex-Kanzler Christian Kern wurde eine Führungsposition in einem russischen Staatsunternehmen angeboten. Auch Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer ist aktiv in prorussischen Netzwerken. Die Beziehungen sind gut. Auch wenn die FPÖ die russlandfreundlichste Partei in Österreich ist: Moskau will keine einzelnen Parteien unterstützen, weil das die Beziehungen zu den anderen schädigen würde.
Die FPÖ hat allerdings bereits 2016 ein Kooperationsabkommen mit Putins Partei "Einiges Russland" unterzeichnet.
Das war eine symbolische Geste. Sie brauchen ja kein Abkommen, um miteinander zu kooperieren. Die Entscheidung des Kreml dafür kam kurz vor dem zweiten Wahlgang der österreichischen Präsidentschaftswahlen 2016. In den Umfragen lagen der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer und der Grüne Alexander van der Bellen damals gleichauf. Der Kreml hoffte, dass Hofer Präsident werden und Moskau besuchen würde - eine Geste, die dem Kreml genützt hätte. Das ist nicht passiert.
Wie groß ist der Einfluss des Kreml auf die FPÖ?
Ich glaube nicht, dass Russland die FPÖ lenkt. Allerdings wiederholt die FPÖ die Narrative und die Propaganda des Kreml - über die Ukraine, über Syrien, teilweise über die USA und über die Nato. Insofern sind sie nützlich. In den 1990ern, unter Jörg Haider, war die FPÖ noch für die Nato. Seither hat sie eine 180-Grad-Wendung vollzogen, Heinz-Christian Strache ist Anti-Nato, da gibt es Überschneidungen mit dem Kreml.
Vor den EU-Wahlen steigt die Nervosität angesichts der russischen Einflussnahme. Wie groß ist der Einfluss im "Informationskrieg"?
Er wird teils übertrieben. Der Kreml hat keinen Plan, die Wahlen im Allgemeinen zu beeinflussen. Er will seine Verbündeten in jenen Ländern stärken, in denen es keine Interessenkonflikte gibt. Die FPÖ kann er wie gesagt nicht unterstützen, weil das den Beziehungen zu den anderen Parteien schaden würde. In Deutschland hat er die AfD bei den Wahlen zum Bundestag 2017 nur indirekt und im Verborgenen unterstützt, um die Putin-Versteher in CSU und SPD nicht vor den Kopf zu stoßen. Der Kreml ist durchaus vorsichtig. In Skandinavien fällt ihm die Einflussnahme besonders schwer. In Schweden, Dänemark und Finnland hat Moskau keine Verbündeten.
Was ist mit den Rechtspopulisten von den Schwedendemokraten?
Die haben Angst vor dem Einfluss Russlands. Das ist dort etwas anderes als in Westeuropa, wo es völlig in Ordnung ist, auf Pro-Kreml-Veranstaltungen aufzutauchen. Auch die rechtspopulistische Dänische Volkspartei ist nicht prorussisch.
Der Kreml will die öffentliche Meinung beeinflussen. Wie erfolgreich sind Plattformen wie "Sputnik" oder "Russland Heute", die Rechtspopulisten eine Bühne bieten?
Russland konzentriert seine Propaganda auf bestimmte Länder. In Skandinavien etwa hat der Kreml die Plattformen 2015 installiert, aber nach einem Jahr wieder abgedreht, weil sich das nicht rentiert hat. Niemand wollte das lesen! Das verrät etwas über russische Propaganda: Es geht auch darum, Profit zu machen. Moskau will kein Geld mit seinen Propagandawerkzeugen verschwenden. In Frankreich, Spanien, Deutschland und Großbritannien hat "Russland Heute" allerdings bis heute Ableger. In Ungarn zahlt sich das nicht aus, weil Viktor Orbán ohnehin schon ein wichtiger Verbündeter des Kreml ist und die absolute Mehrheit hat.
Orbán hat auch weitgehende Kontrolle über die Medien.
Ja, in Ungarn werden teilweise schlimmere Verschwörungstheorien verbreitet als in den russischen Medien. "Russland Heute" hatte auch einen ungarischen Ableger, aber der wurde nach einem Jahr abgedreht, weil es keine Nachfrage gab. In Italien ist es ähnlich. Seit die rechte Lega regiert, muss Moskau überhaupt nicht mehr eingreifen.
Wird sich der Einfluss Russlands auf die Ergebnisse der EU-Wahlen niederschlagen?
Das denke ich nicht. Die Russen können der extremen Rechten nicht zu mehr Abgeordneten verhelfen. Es geht mehr um die Narrative, die Moskau durch rechte Politiker in Europa verbreitet.
Was ändert die neue Rechtsaußen-Fraktion im EU-Parlament, der auch die FPÖ angehört?
Für den Kreml ist sie hilfreich, weil es ihm erleichtert, sein Narrativ auf einem europäischen Level zu verbreiten. Die Fraktion könnte bei den EU-Wahlen sogar die drittstärkste werden. Moskau hilft das, die Debatte in der EU zu beeinflussen. Es wird schwieriger für Konservative, Sozialdemokraten und Grüne werden, russlandkritische Resolutionen durchzubringen. Die Mehrheit wird immer noch skeptisch gegenüber Russland sein, aber sie wird kleiner.
Parteien am rechten Rand und der Kreml haben einiges gemeinsam: Sie wollen die EU schwächen und Traditionen hochhalten, sie verachten liberale Werte wie die Gleichstellung von Homosexuellen oder von Frauen.
Ja, aber im EU-Parlament geht es um etwas anderes. Russland will schlicht ein weniger russlandkritisches Europa. Die EU soll Russland keine Lektionen in Sachen Demokratie erteilen. Die Elite in Russland will weder Demokratie noch Liberalismus. Sie hat eher Saudi-Arabien als Vorbild: Sie will Geschäfte mit dem Westen machen, zu Menschenrechten soll er schweigen. Um das zu erreichen, muss die EU geschwächt werden, denn Russland kann mit ihr nicht konkurrieren, das kann es nur mit den einzelnen Mitgliedstaaten. Es liegt im Interesse des Kreml, die Isolierung der Nationalstaaten voranzutreiben.