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"Europa und die Welt müssen sich auf den Aufstieg Chinas einstellen"

Von Thomas Seifert

Wirtschaft
Wang Wen

Der chinesische Geopolitik-Experte Wang Wen über die neue Seidenstraße und Chinas Ambition, Europa mit Eisenbahnlinien enger an China zu binden.


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"Wiener Zeitung": Peking lädt zu einer groß angelegten Konferenz zum Thema "One Belt One Road" - Die neue Seidenstraße. Was steckt hinter Chinas Vorhaben, die Seidenstraße wiederzubeleben?Wang Wen: China hat die Agenda dieser Konferenz festgelegt und die Gäste, die eingeladen werden, ausgewählt. Das wird kein leeres Geplauder, sondern wir werden der Frage nachgehen, wie wir leistungsfähige Routen zwischen China und Europa entwickeln. Es ist doch so: Seit dem Jahr 2012 ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. In vielleicht zehn Jahren wird China die größte Volkswirtschaft sein. Für China ist diese Initiative die logische Weiterführung der Reform- und Öffnungspolitik, die Deng Xiaoping Ende der 1970er Jahre begonnen hat. China will Europa und Asien verknüpfen: Dabei spielen Politik, Infrastruktur, Finanzen, Eisenbahnen, aber auch der engere Kontakt zwischen den Menschen entlang dieser neuen Routen eine Rolle. Bedenken Sie: Wenn man aus dem All auf den in der Dunkelheit liegenden eurasischen Kontinent schauen könnte, dann würde man sehen, dass es an den Rändern dieser riesigen Landmasse - in Europa, aber auch an der Pazifikküste Chinas riesige helle Lichtflecken gibt. In der Mitte sähe man, dass es aber ziemlich duster ist. Zu leicht vergisst man: Der eurasische Kontinent ist mit Afrika verknüpft, Europa, Asien und Afrika bilden die größte zusammenhängende Landmasse dieses Planeten. Das ist eine unglaubliche geografische Chance.

Die neue Seidenstraße birgt große Chancen für Europa: Für die Infrastrukturentwicklung, für die Stimulierung des Handels, aber auch für Investitionen und für die Finanzdienstleister. Es ist nicht übertrieben, wenn wir von der größten wirtschaftlichen Chance seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sprechen.

Die schlechten Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine sind für derartige Projekte aber höchst hinderlich. Eine Eisenbahnachse, die diese beiden Länder näher zusammenbringt, ist derzeit wohl unrealistisch.

Das mag schon sein. Aber: Die neue Seidenstraße ist alles andere als eine kurzfristige Initiative. Da braucht man einen langen Atem. Ich hoffe, dass es im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine in zehn oder 20 Jahren eine Lösung geben wird. Unsere Strategie ist pragmatisch: Wir treiben zunächst jene Korridore voran, die sich am einfachsten umsetzen lassen. Ich erzähle Ihnen eine alte chinesische Weisheit: Die handelt von einem Dorf, das sich in den Kopf setzt, zwei Berge, die den Weg ins Dorf mühsam machen, zu versetzen. Sagt der eine aus dem Nachbardorf: Ihr spinnt ja, wie soll das den gehen? Sagte der alte Mann aus dem Dorf: Sieh mal, ich habe viele Kinder und meine Söhne und Töchter haben wieder Kinder und Enkel. Jede Generation wird das Projekt des Bergeversetzen vorantreiben. Als dann Gott von dieser Geschichte gehört hat, war er so angetan von der Ambition der Bewohner dieses Dorfes, dass er die beiden Berge versetzt hat. Was ich damit sagen will: Wir Chinesen sind ausreichend mit Geduld gewappnet.

Wie will China den lokalen Regierungen entlang der Korridore das Projekt schmackhaft machen?

Die Prioritäten liegen natürlich im Ermessen der lokalen Regierungen. China wird niemanden drängen, da mitzumachen. Wir haben aber gesehen, dass es von einigen europäischen Ländern großes Interesse gibt: So wurde China eingeladen, im Hafen von Piräus zu investieren. Europa und die Welt müssen sich auf den Aufstieg Chinas einstellen. Viele Chinesen stoßen sich an der Arroganz mancher Politiker in Europa oder auch in anderen Teilen der Welt, die behaupten, dass man China nicht braucht. Ich denke, es ist so: China ist ein guter Partner für Europa. In manchen Aspekten stehen unsere Volkswirtschaften in Konkurrenz zueinander, in anderen Aspekten sind sie komplementär. Wir haben von Europa viel gelernt, und es gibt noch viel mehr zu lernen. Ich denke aber auch, dass in Zukunft Europa auch von China lernen sollte.



Wird Österreich von dieser neuen Seidenstraße profitieren können?

Absolut. Wir verknüpfen die unterschiedlichsten Regionen. Denken Sie nur an die Möglichkeiten einer Eisenbahnroute, die von Lissabon nach Shanghai reicht! Österreich kann ein sehr wichtiger Punkt entlang dieser Route sein.

Zur Person

Wang Wen

ist am Chongyang Institute for Financial Studies an der Renmin Universität in Peking tätig. Er arbeitete lange Zeit als Journalist und gehört nun zur führenden Polit-Denkern der jüngeren Generation.