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Europa und seine Grenzen

Von Hermann Schlösser

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Die Jubelhymnen zur Europa-Erweiterung waren schon verklungen, als das ZDF am Sonntagabend zum nachdenklichen Abschluss einlud: "Das philosophische Quartett" fragte nach den Grenzen des Gebildes namens "Europa". Der Moderator Peter Sloterdijk polemisierte gegen die Vorstellung, die Europäische Union sei eine Art "Catering Service", das sich jeder ins Haus holen könne, der genug Geld habe. Aber welche Kriterien entscheiden dann darüber, ob ein Land zu Europa gehört oder nicht? Die demokratische Staatsform? Die Einhaltung der Menschenrechte? Oder gar die Wahl der bevorzugten Getränke, wie Sloterdijk vielleicht nicht ganz ernsthaft vorschlug? (Wein ist europäisch, Wodka nicht, und wie es mit dem Bier steht, blieb ungeklärt.)

Schließlich spitzte sich die niveauvolle Diskussion auf eine Frage zu, an deren Ernsthaftigkeit kein Zweifel bestehen kann. Sie wurde am klarsten von dem Historiker Hans-Ulrich Wehler gestellt: Versteht sich die Europäische Union als Verein, dem jeder beitreten kann, der die Satzung anerkennt, oder bedeutet sie die späte politische Anerkennung einer historisch gewachsenen Einheit? Wehler plädierte für die zweite Möglichkeit und sprach sich deshalb engagiert gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU aus. Ein islamischer Staat könne kein EU-Mitglied sein - weil er eben nicht "europäisch" sei, und es auch niemals werden könne. Das Publikum im Sendesaal applaudierte dieser These nachhaltig, doch kann man annehmen, dass damit das letzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen war.