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Europapolitik ist mittlerweile bei allen Parteien populistische Anbiederung an jene Stimmungslage, welche die Spin-Doktoren bei ihrer Zielgruppe vermuten.
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Die SPÖ hat es mit dem Brief an den Onkel Hans vorgemacht, mit dem Alfred Gusenbauer glaubte, seinen Kopf retten zu können, während er in Wahrheit nur seinen Nachfolger Werner Faymann in den Sattel hievte. Bei den Grünen wird Europapolitik in Zukunft von den Globalisierungskritikern gemacht.
Und die ÖVP hat einen Spitzenkandidaten für die EU-Parlamentswahlen aus dem Hut gezaubert, von dem man schon gehofft hatte, er hätte der Politik zu Gunsten gewinnträchtigerer Beschäftigungen den Rücken gekehrt. Wie Ernst Strasser Europapolitik interpretiert, hat er gleich zu Beginn mit der geballten Macht seiner Sprachlosigkeit erklärt: "Ich bin dafür, dass in Brüssel das geschieht, was die Österreicher wollen."
Um ein anderes Verständnis von Europapolitik schon im Ansatz zu unterbinden, haben SPÖ und ÖVP nun dem Konzept von "Europatagen", an denen die österreichischen EU-Abgeordneten - vom ORF übertragen - im Parlament reden sollten, eine Abfuhr erteilt. Das würde - so die Begründung - die nationale und die europäische Perspektive vermengen.
Demnächst werden sie wieder das Demokratiedefizit der EU beklagen, das ja in der Hauptsache darin besteht, dass es keine vom Volk direkt legitimierte Exekutive gibt, sondern dass die Politik der Union hauptsächlich durch die Vertreter der Mitgliedstaaten, den EU-Ministerrat, bestimmt wird. Daher hat das Europäische Parlament viel weniger Einfluss auf die Gesetzgebung als die nationalen Parlamente.
Dieses institutionelle Arrangement spiegelt aber nur den Umstand wider, dass es eben keine gesamteuropäische Öffentlichkeit gibt, sondern die Meinungsbildung über Europa im Rahmen einer Vielzahl fragmentierter nationaler Öffentlichkeiten stattfindet.
Auch in der österreichischen Politik müssen die Partikularinteressen einzelner Regionen gegeneinander abgewogen werden. Aber die Arbeit weder des Nationalrats noch der Bundesregierung erschöpft sich darin. Das ist einer der Gründe, warum es niemand als Widerspruch empfindet, sich als Tiroler und gleichzeitig als Österreicher zu bekennen. Eine Stufe höher, in Richtung europäischer Ebene, funktioniert die Bildung multipler Identitäten aber nicht so gut.
Die Rechtsrabauken arbeiten beharrlich daran, dass sich daran nichts ändert. Innerhalb des Verfassungsbogens bedauern die Parteien bei Sonntagsreden die "Europamüdigkeit" der heimischen Bevölkerung. Wie wenig ernst sie das meinen, zeigt der Umstand, dass sie schon bescheidene Ansätze zur Bildung einer europäischen Identität torpedieren.
Hans Pechar leitet das Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung an der Universität Klagenfurt.
"Die österreichischen Parteien torpedieren schon bescheidene Ansätze zur Bildung einer europäischen Identität."
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