Österreichs Schleuderkurs in der EU wird der Regierung noch schwer zu schaffen machen. Jede Entscheidung in Brüssel kann fundamentalistische Gegner mobilisieren.
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Neuerdings vermelden Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll stolz Erfolge in der Europäischen Union. Sei seien ihnen vergönnt. Auf wessen Mist der auf 50 Milliarden Euro aufgepäppelte Finanzbeistand für Osteuropa auch immer gewachsen ist - Faymann und Pröll waren die ersten, die eine Marketing-Aktion dafür starteten. Jetzt kommt auch die EU drauf: Wenn man den neuen Mitgliedsländern nicht den Rücken stärkt, gräbt sich die "alte" EU das Wasser von den eigenen Export- und Investitionsmärkten ab.
Es gibt auch einige Beschlüsse, mit denen sich die EU drei knappe Monate vor den Wahlen zum EU-Parlament in die Herzen der Bürger zu schleichen versucht, etwa durch konsumentenfreundliche Zügelung der Preispolitik der Telekomunternehmen. Oder - bezogen auf Tirols Transitprobleme - durch die Einrechnung von Umweltbelastungen in die Mautgebühren. Aber schon dabei kommt nicht alles so an wie geplant, Tirols Umweltschützer betrachten die Maßnahme als Augenauswischerei, und die Industrie fürchtet weitere Belastungen.
Diese Ambivalenz gilt erst recht für den Aufsehen erregenden "Erfolg" Brüssels, das Bankgeheimnis unter Aufwendung fast physikalischen Drucks zu durchlöchern. Finanzminister Josef Pröll kann beteuern so laut er will, dass die Österreicher davon gar nicht betroffen sind - viele und vermutlich die meisten Leute glauben dennoch, seine Steuerjäger könnten demnächst direkt in die Sparbüchl schauen. Das ist falsch, aber das Bankgeheimnis gehört zu den großen Mythen der Bevölkerung.
Somit lässt sich das Misstrauen mit der generellen Anti-EU-Stimmung verknüpfen. Die Rechtsparteien FPÖ und BZÖ haben sich bereits oppositionell festgelegt und würden im Nationalrat, falls abgestimmt werden muss, dem für Verdachtsfälle vorgesehenen internationalen Austausch von steuerlich relevanten Vermögensdaten nicht zustimmen. Falls eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, hängen die Regierungsparteien mit nur 102 von 183 Mandaten schwebend in der Zirkuskuppel. Einzig die Grünen könnten rettend eingreifen und sich als Mehrheitsbeschaffer betätigen. Vielleicht käme dadurch sogar mehr Transparenz in die vernebelte Entschärfung des Bankgeheimnisses, aber wer weiß schon, wie die Mehrheitsbeschaffung innerhalb der Grünen gerade in EU-Fragen funktioniert.
So oder so wird die Regierung von ihrem Geburtsfehler eingeholt. Der populistische Anti-EU-Anfall der SPÖ samt ihrer medialen Akrobatik um den Reformvertrag hat bei den Nationalratswahlen keiner der beiden Parteien etwas gebracht, sondern sie geschwächt. Der großkoalitionäre Konflikt um Europa ist bei den Koalitionsverhandlungen nicht beseitigt, sondern durch eine seltsame Ausstiegsklausel verkleistert worden.
Folge: Jede EU-Entscheidung, die durch eine nationale Mehrheitsbildung bestätigt werden muss, kann zur Sprengladung werden, wenn die Oppositionsparteien dies wollen. Im Fall des Bankgeheimnisses hätte das die verheerende Folge, dass Österreich von dem Beschluss, sich den Spielregeln der OECD zu unterwerfen, gar nicht mehr zurück könnte. Es sei denn, man würde in Kauf nehmen, was zu verhindern war: auf eine Schwarze Liste gesetzt zu werden.
Vielleicht aber kommen SPÖ und ÖVP mit blauem Auge davon und erhalten den Denkzettel nur in allgemeiner Form bei der Europa-Wahl im Juni. Das wäre, wenn man rechnet, wohin diese Wählerstimmen dann gingen, schlimm genug.