Die internationale Presse hat die Zustimmung der Iren zum Vertrag von Lissabon weitgehend positiv bewertet. Sorgen bereitet vielen Kommentatoren die Haltung des tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus. Dieser kann durch das Hinauszögern seiner Unterschrift, die europäische Integration noch gefährden.
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Klaus , der sich als "EU-Dissident" versteht, hat den Zeitpunkt seiner Unterschrift bereits mehrmals verschleppt.Obwohl das Verfassungsgericht bereits 2008 festgestellt hat, dass der Vertrag von Lissabon verfassungskonform sei, haben einige seiner Parteifreunde von der ODS am 29. September 2009 eine zweite Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Lidove noviny (Prag):
"Das ist der Star-Moment, auf den Klaus gewartet hat. Alle von New York bis zu Moskau werden jetzt den Argumenten des Mannes zuhören, gegen den die EU keinen Plan B hat. Jetzt wird er nicht als extravaganter Vertreter eines kleines Landes sprechen, als jemand, den eine Gruppe einlud, damit er die globale Klimaerwärmung bestreiten kann. Nun wird er als der reden, den alle ganz ernst nehmen und dem alle auf die Lippen schauen. Wird er (den Lissabon-Vertrag) schließlich unterzeichnen? Kein vorsichtiger Mensch würde um Geld darauf wetten. Aber darauf, dass er (Klaus) seinen Star-Moment auf dem Olymp genießen wird, kann man einen Monatslohn setzen."
Pravo (Prag):
"Der tschechische Präsident Vaclav Klaus ist nun in die Position eines Pfahles im Zaun geraten. (...) Er bringt seine übrigen Kollegen in hohen Ämtern in eine nicht neidwürdige Situation. Der (tschechische) Premier (Jan Fischer) und seine Minister müssen jetzt auf allen Fronten erläutern, dass Tschechien es nicht so meint, dass es (den EU-Reformvertrag) schließlich bestimmt ratifizieren wird, dass die Krise um Lissabon nicht so schlimm ist und dass alles schließlich gut ausgeht. Das Erzählen von Märchen haben eine bestimmte Zeit Wirkung - zumindest auf die Kinder. Die Frage ist aber, wie lange man sie sich in Europa wird erzählen lassen."
Hospodarske noviny (Prag)
"Trotz all des Aufsehens weiß der Präsident (Vaclav Klaus), dass er Lissabon nicht stoppen kann. Er wird es nur ein paar Monate aufhalten, schließlich wird er es unterzeichnen und wird an seine Aussage vom Sommer 2007 erinnern, wo die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die EU-Verfassung unter den neuen Namen Lissabon-Vertrag wiederbelebte. Damals gestand er, dass ihm der Vertrag tatsächlich so gar nicht gefällt, allerdings wisse er, dass er nicht die Kraft habe, ihn abzuwenden (...) Wir (Tschechen) mussten Lissabon annehmen, auch wenn wir formell das Recht hatten, Nein zu sagen. Jene, die es wollten und damit ihre Ambitionen und Karrieren verbunden haben, waren viele und sie waren einflussreich. Obwohl es niemand laut sagt, hatten wir nur zwei Möglichkeiten: entweder den Vertrag billigen oder die EU verlassen."
Neue Zürcher Zeitung (Genf):
"Das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon könnte eine längere Phase einläuten, in der die EU zwar noch die Kraft findet, Kroatien und Island aufzunehmen, aber umstrittene Projekte wie den Beitritt der Türkei oder eine mutige Ostpolitik auf Eis legt. Es wäre daher ehrlicher, wenn man 'Lissabon' nicht weiter hochstilisierte - je nach Perspektive zum Heilsbringer oder zum Schreckgespenst -, sondern die eigentliche Kernfrage offen diskutierte: Soll die heutige Gestalt der Endzustand sein, oder soll sich die EU noch weiterentwickeln? Insgeheim fürchten viele, dass Stagnation der Anfang vom Ende wäre. Nur, dies offen zu sagen, traut sich fast niemand mehr."
La Presse de la Manche (Paris):
"Die Iren haben auf die Frage geantwortet, die ihnen gestellt war. Sie haben nicht für oder gegen ihre Regierung gestimmt, sondern für oder gegen das Europa des Lissabon-Vertrags. Besser noch: Die großen Oppositionsparteien (...) haben die Iren aufgefordert, sich weder im Referendum zu täuschen noch in dem, was dabei auf dem Spiel stand. Sie haben also für ein 'Ja' geworben - weil sie meinten, dass dies im Interesse des Landes war. Und dabei ihre eigenen Interessen hinten angestellt."
Charente Libre (Paris):
"Vaclav Klaus (...) setzt auf den Sieg der eurofeindlichen britischen Konservativen bei den Wahlen im kommenden Frühjahr. Sie haben eine Volksbefragung versprochen - mit dem Ziel, die britische Ratifizierung des Lissabon-Vertrages rückgängig zu machen. Die britischen Ausnahme ist keine Überraschung. Im Übrigen hat die Weigerung Großbritanniens, den Euro anzunehmen, das Funktionieren der EU nie verhindert. Können wir aber ernsthaft annehmen, dass ein einziger Mann, Vaclav Klaus, den europäischen Zug stoppen kann - und dies gegen eine Entscheidung seines eigenen Parlaments?"
Magyar Nemzet (Budapest):
"Der Vertrag von Lissabon macht es jetzt erstmals möglich, dass ein Land aus der EU austritt. Ende Jänner hat der Fraktionsvorsitzende der (ungarischen rechtsgerichteten Oppositionspartei) FIDESZ, Tibor Navracsics gesagt: 'Vielleicht sollten wir auch unsere EU-Mitgliedschaft neu bewerten.' Die Möglichkeit dieser Neubewertung ist nunmehr zur Waffe geworden, um wirksam Interessen geltend zu machen."