Das Ringen um gemeinsame Verteidigungspolitik und neue Asylregeln wird die EU über den Gipfel hinaus beschäftigen.
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Jens Stoltenberg wird auch zu Gast sein. Der Nato-Generalsekretär wird anwesend sein, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zu ihrem Gipfeltreffen in Brüssel zusammenkommen. Eine Stärkung der Zusammenarbeit zwischen dem Militärbündnis und der Union, der Sicherheits- und Verteidigungspolitik - all das wird erneut beschworen. Und es wird die Europäer auch weit über die aktuelle Sitzung hinaus beschäftigen.
Die Notwendigkeit dessen hat spätestens der Krieg Russlands gegen die Ukraine deutlich gemacht. Manche sehen diesen schon als "letzten Weckruf" an die EU an, ihre verteidigungspolitischen Kräfte zu bündeln und auszubauen. Wie etwa der EU-Abgeordnete und frühere polnische Außenminister Radoslaw Sikorski, der im Europäischen Parlament die USA-Delegation leitet. Die EU müsse ihr militärisches Potenzial stärken, meint der Politiker, der der Europäischen Volkspartei angehört. "Denn das nächste Mal könnten wir allein dastehen, ohne die USA", sagt er im Gespräch mit österreichischen Journalisten in Brüssel. Wenn beispielsweise China Taiwan angreifen würde, würden die Amerikaner sich darauf konzentrieren, und einem anderen Konflikt müssten sich die Europäer allein stellen.
Mehr Geld für die Ukraine
Gleichzeitig weist Sikorski darauf hin, dass durch den Ukraine-Krieg die EU stärker in den Fokus der USA gerückt sei: "Die USA haben die Existenz und die Bedeutung der EU erkannt." Deren Einigkeit bei der Unterstützung des osteuropäischen Landes sei denn auch deren Triumph.
Darum wird es ebenfalls bei dem EU-Spitzentreffen in Brüssel gehen - und teilweise wohl auch beim Nato-Gipfel in Vilnius, der in zweieinhalb Wochen stattfindet. Denn nicht nur im EU-Parlament sind Rufe nach einer Stärkung des europäischen Verteidigungssektors, unter anderem auch beim Beschaffungswesen, zu hören. So steht für Forschung und gemeinsamen Einkauf im Finanzrahmen mittlerweile erstmals ein Budget in Höhe von sieben Milliarden Euro zur Verfügung. Zusammengerechnet, so hieß es diese Woche aus der EU-Kommission, haben die EU-Länder Verteidigungsausgaben, die jenen von China entsprechen. Die nationalen Armeen benutzen derzeit aber ein Sammelsurium an Waffen- und Fahrzeugsystemen mit 17 verschiedenen Panzersystemen - in den USA gibt es eines - oder 29 verschiedene Arten von Kreuzern und Zerstörern. Es fehle an einer gemeinsamen Rüstungsindustrie.
Währenddessen laufen die EU-Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine weiter. Nach Angaben der Kommission liegen sie bereits bei einem Wert von 72 Milliarden Euro, darin sind aber auch die Kosten für die Aufnahme der Vertriebenen schon eingerechnet.
Im Zuge der Finanzierungsdebatte wurde erwartet, dass der jüngste Vorstoß der Kommission nach Erhöhung des mehrjährigen Finanzrahmens um 66 Milliarden Euro auch am Rande des Gipfels erörtert wird. Österreich, aber ebenso Deutschland, hat sich bisher gegen weitere Zahlungen in den gemeinsamen Haushalt ausgesprochen.
Dabei soll ein Teil dieser zusätzlichen Mittel auch zur Verstärkung des Außengrenzschutzes verwendet werden, was eine zentrale Forderung aus Wien ist. Im Vorfeld des Brüsseler Treffens hielt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem langen Brief an die Staats- und Regierungschefs den Stand der Dinge bei der Asylreform fest. Die jüngste Schiffskatastrophe in der Ägäis zeige erneut die Dringlichkeit auf, Lösungen zu finden. Als Schlagworte finden sich die Zusammenarbeit mit Drittstaaten - unter Verweis auf von der Leyens Besuch in Tunesien vor kurzem, gemeinsam mit der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni -, der Kampf gegen Menschenschmuggler sowie die "Arbeit an alternativen legalen Wegen". Die Kommission werde "umfassende Partnerschaften mit Drittländern" suchen.
Daher sollen 15 Milliarden Euro der nun verlangten Budgetaufstockung nicht nur in den Grenzschutz fließen, sondern auch in die Kooperation mit Ländern wie Türkei, Libanon und Jordanien, die zusammen jetzt schon weit mehr Flüchtlinge beherbergen als die EU. Für alle Fluchtrouten, ob über den Atlantik, den Westbalkan oder das Mittelmeer, sind Aktionspläne in Arbeit.
Von der Leyen kommt in ihrem Schreiben auch auf die beiden Grenzschutz-Pilotprojekte in Bulgarien und Rumänien zu sprechen. Dabei geht es wohl auch um ein Signal an Österreich, das nach wie vor den schon abgesegneten Beitritt der beiden Länder zur Schengen-Zone blockiert.
Kompromiss zu Migration
Basis für die Migrationsdebatte am Gipfel ist das vor drei Wochen erzielte Kompromisspaket, das unter anderem Schnellverfahren und Freiheitsentzug für Einwanderer an den EU-Außengrenzen vorsieht. Der Text, dem Polen und Ungarn nicht zustimmten, wurde von den EU-Ministern als Erfolg dargestellt, erzielt nach jahrelangem Ringen.
Allerdings muss auch das EU-Parlament das Vorhaben billigen. Aus dem Abgeordnetenhaus ist bereits zu hören, dass der Entwurf noch etlicher Änderungen bedürfe. So gibt es menschenrechtliche Bedenken, etwa wegen der drastischen Einschränkung der Bewegungsfreiheit in den Aufnahmezentren - und ebenso Einwände gegen die Kriterien, nach denen verschärfte Bedingungen gelten.
Schnellprüfungen an der Grenze sollen beispielsweise bei Asylanträgen von Migranten greifen, die aus Herkunftsländern stammen, deren Bürger eine Asyl-Anerkennungsquote in der EU von weniger als 20 Prozent haben. Das hätte im Vorjahr mehr als 400.000 Menschen betroffen - das geht aus einer Anfragebeantwortung des deutschen Innenministeriums hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Das Ministerium beruft sich auf Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat. Demnach seien 423.260 Menschen in die EU aus Ländern gekommen, für deren Bürger eine Schutzquote von höchstens 20 Prozent erreicht wurde.