Zum Hauptinhalt springen

"Europa wird Frankreich folgen"

Von Alexander U. Mathé aus Frankreich

Europaarchiv

Hollande wäre im Falle eines Sieges schnell unter Handlungsdruck.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wiener Zeitung":Was wird nach der Wahl geschehen?José-Manuel Lamarque: Es werden sehr wichtige Wahlen sein. Sie werden die Zukunft Frankreichs und Europas bestimmen. Viele Europäer werden abwarten, was in Frankreich geschieht, um zu entscheiden, was sie bei sich zu Hause machen werden. Allen voran die Griechen, die Spanier, die Italiener; vielleicht auch die Engländer, denen es im Moment nicht so gut geht.

Was würde das im Falle eines Wahlsiegs Sarkozys beziehungsweise Hollandes bedeuten?

Wenn Sarkozy gewinnt, dann ist es offensichtlich, dass die Parlamentswahlen nach links gehen werden. Aber Sarkozy ist nicht ein Mensch wie Chirac oder Mitterrand. Die haben mit so einer Situation umgehen können, weil sie die dafür nötige politische Erziehung hatten. Sarkozy hingegen würde es nicht aushalten, die Macht teilen zu müssen.

Wie sicher ist es denn wirklich, dass bei den Parlamentswahlen die Linke gewinnen wird?

Die Mehrheit der Regionen ist links, der Senat ist links, das wäre dann schon ein politischer Erdrutsch, wenn die Rechte gewänne. Das würde mich außerordentlich überraschen.

Und wenn Hollande gewinnt?

Die linke Mehrheit im Parlament wird nicht nur aus Sozialisten bestehen. Hollande wird sich mit den anderen Parteien arrangieren müssen, der Linkspartei etwa, oder den Grünen. Im Gegensatz zu einem rechten Präsidenten wird er die Forderungen der Linken beziehungsweise der Gewerkschaften erfüllen müssen und das schnell; eben weil er selbst links ist. Da wird kompliziert für ihn.

Was werden die Wahlen für Europa bedeuten?

Die Wahlen in Frankreich werden die Richtung in Europa bestimmen. Wenn sie in Richtung der Linken, oder der großen Linken - also Hollande und Mélenchon - gehen, dann wird das zu einer Revolte gegen das Finanz-System führen, der die europäischen Völker folgen werden. Wenn Sarkozy gewinnt, wird alles bleiben, wie es ist. Aber egal, wer gewinnt, wir bewegen uns auf eine soziale Krise zu. Ich glaube aber auch, dass Sarkozy das im Gegensatz zu Hollande begriffen hat.

Die Franzosen werden doch kaum wirklich die Chance haben, etwa die Briten zu beeinflussen?

Es stimmt zwar, dass die Briten nach wie vor auf ihrer Insel sind. Aber diesen Reden von der deutsch-französischen Freundschaft glaube ich nicht. Es sind vielmehr die Briten, die unsere wahren Verbündeten sind. Wir bekämpfen uns zwar schon seit dem Mittelalter, aber wir kennen uns auch seit dem Mittelalter. Wir teilen auch dieselbe Heuchelei, den Sinn für das nicht Gesagte. Das haben die Deutschen nicht: Was da nicht gesagt wird, existiert nicht. Wir brauchen auch die Briten, weil sie die einzige große Opposition sind. Umgekehrt braucht uns das britische Volk, das es nötig hat, endlich einmal wieder durchatmen zu können.

Warum das?

In Großbritannien ist David Cameron gerade dabei, das Vereinigte Königreich in die Katastrophe zu führen. Er streicht die Sozialleistungen, die Armen sind gezwungen, London zu verlassen. Wir haben schon vergessen, dass letzten Sommer vier englische Städte fünf Tage lang geplündert worden sind. Sie sind geplündert worden von Leuten, die sich via Blackberry organisiert haben, und dann hat es geheißen, das es Ganoven waren. Es waren keine Ganoven, es waren Arbeitslose, Kinder von Arbeitslosen, die sich gedacht haben: "Da ich kein Geld mehr habe, werde ich mich einfach bedienen." Das, was wir da gesehen haben, werden wir bald wieder sehen: eine Revolte der Engländer.

Zur Person
José-Manuel Lamarque
Der politische Analyst und Journalist aus Paris ist Autor des Blogs "helpthegreekpeople".