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Europa wird sich warm anziehen müssen

Von Eugen Freund

Gastkommentare

Gastkommentar: Am 20. Jänner 2017 beginnt eine neue Weltordnung.


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Wenn Donald Trump alle seine außenpolitischen Drohungen wahrmacht, muss die EU entsprechende Antworten finden. Foto: Reuters/L. Jackson

Die Ordner hatten alle Hände voll zu tun: Der Empfang für den eben angelobte Präsidenten geriet völlig aus den Fugen. Die Kellner verschütteten den Orangensaft, weil ihnen die Menschenmassen entgegen stürmten, Gläser und Porzellan wurden zertrümmert, Männer mit völlig verschmutzten Schuhen stellten sich auf die mit Damaststoff bedeckten Stühle, um einen besseren Blick auf den Präsidenten werfen zu können. Als dieser endlich auftauchte, wurde er von den begeisterten Besuchern beinahe erdrückt.

Eine (fiktive) Vorschau auf die Inauguration von Donald Trump als neuer US-Präsident? Nein, so ging es nach der Angelobung von Andrew Jackson im Jahre 1829 in Washington zu (so geschildert von Robert Remini in "Andrew Jackson and the Course of American Freedom, 1822-1832").

Was am 20. Jänner passieren wird, wissen wir nicht. Die USA sind jedenfalls gespalten wie noch nie, der Hass der Verlierer auf die Sieger (und umgekehrt) ist größer denn je - nicht zuletzt, weil sich die "Verlierer" auch darauf stützen, dass ihre Kandidatin drei Millionen mehr Stimmen bekam als die gegnerische Partei.

Wir Europäer haben US-Präsidenten in der jüngeren Geschichte immer belächelt. Jimmy Carter etwa, der als "Erdnussfarmer" abgewertet wurde, obwohl er als Gouverneur (Georgia) gerade in der Rassenfrage zukunftsweisende Politik betrieben hatte.

Wie konnten die Amerikaner Ronald Reagan wählen, der ja nur "ein Schauspieler in drittklassigen Filmen" war. Seine Tätigkeit als Gouverneur eines bedeutenden US-Bundesstaates wurde einfach ignoriert. Es war derselbe Reagan, der 1987 in Berlin seinem sowjetischen Gegenspieler Michael Gorbatschow zurief: "Reißen Sie die Mauer nieder!"

George H.W. Bush war acht Jahre lang sein Vizepräsident, schon zuvor hatte er als UN-Botschafter auch international Erfahrung (und Freunde) gesammelt. Trotzdem betrachteten ihn viele hier als politisches Leichtgewicht, auch wenn unter seiner Präsidentschaft die Teilung Europas beendet wurde.

Bill Clinton, ein "political animal" sondergleichen, dessen Heimatstaat so unscheinbar war, dass viele ihn - bis heute - nicht einmal richtig aussprechen konnten (Ar-KANSAS statt AR-Kansa), wurde auf seine Frauengeschichten reduziert (natürlich nicht nur, aber auch in Europa - ich erinnere mich noch daran, wie ich einmal als US-Korrespondent aus Wien den Auftrag erhielt, eine nackte Clinton-Puppe in die Kamera zu halten, und mich standhaft weigerte). Dass Clinton Europa mit seinem militärischen - und anschließend diplomatischen - Einsatz im Balkan-Krieg von einem großen Dilemma befreite, wurde hier nie richtig gewürdigt.

Und dann kam George W. Bush. Was immer man über den "Terror-Präsidenten" auch sagen kann, er war immerhin mit Politik groß geworden und auch Gouverneur von Texas. So gesehen haben wir ihn in Europa (und ich fühle mich dabei durchaus mitschuldig) "misunderestimated", um es in seiner eigenen verstümmelten Wortwahl zu beschreiben.

Schließlich Barack Obama: Der nächste Präsident war auch nicht gerade zugeschnitten für das höchste Amt. Seine Tätigkeit im Senat von Illinois war unaufregend, und auch als er danach Senator im US-Kapitol wurde, fiel er nicht gerade durch weitreichende Initiativen auf - jedenfalls aus europäischer Perspektive. Doch, natürlich, er hatte - in seinem früheren Leben - Verfassungsrecht an einer der renommiertesten Universitäten des Landes gelehrt und schrieb dann mit seiner Wahl Geschichte. Was immer Europa also an früheren Präsidenten auszusetzen hatte, eines konnte man ihnen nicht vorwerfen: mit Politik nichts am Hut gehabt zu haben.

Nigel Farage und Marine Le Pen als Donald Trumps Einflüsterer

Und jetzt: Donald Trump. Eine völlige Leere. Jedenfalls kein politisches Elternhaus, kein Zoon politikon. Einer, der sein Temperament nicht zügeln kann, der über den Wahlkampf hinaus Hassparolen trommelt, der die Medienfreiheit einschränkt, der dem russischen Präsidenten Wladimir Putin schmeichelt (und von ihm umschmeichelt wird) der, sagen wir es offen, an nichts anderem interessiert ist als an seinem Ego: "Make Trump Great Again!"

In einem Interview für eine Trump-Story, die ich vor 26 Jahren für den ORF produzierte, sagte mir der gerade abgewählte New Yorker Bürgermeister Edward Koch: "Trump will immer mehr, als ihm zusteht, aber das entspricht eben seinem Naturell" Und Trump selbst, obwohl damals in finanziellen Schwierigkeiten, gab seine Richtlinie vor: "Geld ist König. Leute, die Geld haben, werden die besten Entscheidungen treffen." Das zeigt sich jetzt an der Auswahl seiner Mitstreiter: So viel Millionäre und Milliardäre gab noch nie in einer US-Regierung.

Offenbar hält Trump auch nicht viel vom Zusammenhalt in der EU. Kein Wunder, sind doch seine ersten Einflüsterer Nigel Farage und Marine Le Pen. Auf die fehlende Zuneigung aus den USA wird Europa aber reagieren müssen. Der alte Kontinent wird sich warm anziehen müssen - besser und langfristiger aber wäre es, näher zueinander zu rücken.

Eugen Freund war ORF-Journalist (unter anderem USA-Korrespondent von 1995 bis 2001) und ist seit 2014 Abgeordneter der SPÖ im Europäischen Parlament. Foto: Arne Müseler/CC

Warum sollte Trump von seiner Drohung abrücken, die europäischen Nato-Mitglieder stärker für den Schutz durch die Verteidigungsallianz zu belasten? Wozu brauchen wir noch 67.000 Nato-Soldaten in Europa, wenn sie einem "friedvollen" Russland gegenüberstehen? Das hat Trump in seinem Interview für die "Bild"-Zeitung und die britische "Times" auch schon angedeutet. Wozu soll Putin in der Ost-Ukraine nachgeben, wenn der US-Präsident in denselben Interviews die Aufhebung der Sanktionen ankündigt?

Als Schattenberichterstatter habe ich im Spätherbst an einem Bericht des Europäischen Parlaments gearbeitet, aus dem klar hervorgeht, wie stark sich Russland medial in europäische Belange einmengt. Noch sind wir hier nicht so weit wie in den USA, wo Russland mit Hacker-Methoden den Wahlkampf beeinflusst hat. Doch wichtige Wahlen stehen in Europa heuer noch bevor.

Solidarität in der EU ist keine Einbahnstraße

Polen und die baltischen Staaten, die von russischer Propaganda besonders aufs Korn genommen werden, hängen stark an der Nabelschnur der USA. Sie werden vielleicht bald europäische Staaten um Schutz bitten müssen. So betrachtet ist es höchst an der Zeit, dass die Regierungen in Warschau, Riga und Vilnius erkennen: Solidarität in der EU ist keine Einbahnstraße. Und die lange Zeit vernachlässigte militärische Kooperation unter den Mitgliedstaaten wird ebenfalls intensiv diskutiert werden müssen - daraus muss nicht notgedrungen eine "europäische Armee" werden.

Wenn schon der Syrien-Krieg mit seinen Auswirkungen auf Europa dafür nicht gereicht hat, dann müssten spätestens jetzt in Europas Hauptstädten die Alarmglocken läuten: Wir brauchen, was ich seit Beginn meiner Arbeit im EU-Parlament fordere, vor allem ein energisches, selbstbewusstes und kraftvolles außenpolitisches Auftreten Europas.

Schließlich werden wir uns in Zukunft noch weniger darauf verlassen können, dass die USA Krisen in unserer Umgebung lösen. Weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt sein werden. Und dann ist auch nicht auszuschließen, dass im gegenwärtigen Klima mit dem Tag der Inauguration Donald Trumps Porzellan noch das Geringste ist, das in Trümmern liegen wird.