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Wer EU-Mitglied werden will, so ein Brüsseler Kalauer, muss fein nach Rosenholz duften - wer aber einmal Mitglied des Klubs ist und eine olfaktorische Belästigung aller anderen darstellt, kann nicht gezwungen werden, ein Bad zu nehmen. Ein befriedigender oder auch nur vernünftigerweise akzeptabler Zustand ist das nicht wirklich.
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Wie zutreffend das Bild jedoch ist, zeigen gerade ein großer und ein kleiner EU-Krisenherd, die an sich gar nichts miteinander zu tun haben: die anhaltende Schuldenkrise von Griechenland & Co und das etwas merkwürdige Demokratieverständnis (siehe Mediengesetz) von Ungarns Regierung - ausgerechnet im Semester der ungarischen EU-Präsidentschaft.
Die bemerkenswerte Gemeinsamkeit: Beides hat mit dem letztlich nicht wirklich geklärten Machtverhältnis zwischen der Union und ihren Mitgliedern zu tun. Wie die EU mit Mitgliedern verfahren darf, soll oder muss, die sich de facto zu Lasten der anderen übermäßig verschulden, ist letztlich genauso ungeklärt wie die Frage nach zulässigen Sanktionen gegen Mitglieder, deren Demokratiebegriff nicht (mehr) jenem der anderen entspricht.
Im Normalbetrieb ist das ein eher akademisches Problem für kluge Seminare zur "Finalität Europas". Im Konfliktfall wird aber die Fragilität der ganzen politischen Konstruktion sichtbar. Die Deutschen wollen mit dem gleichen Recht nicht für Griechenland zahlen, mit dem sich die Griechen nicht von den Deutschen kommandieren lassen wollen; die Ungarn pochen mit dem gleichen Recht auf ihre Souveränität, mit dem sich andere Mitglieder um die demokratischen Gepflogenheiten in einem Teil der EU sorgen. Der Puffer dazwischen sind schwammige Begriffe wie "Europäische Solidarität" oder "Europäische Werte", die jeder entsprechend den eigenen Interessen auslegt.
Wäre die EU ein Bundesstaat, würde eine Verfassung derartigen Konflikten vorbauen. Wäre sie ein bloßer Staatenbund wie zu Zeiten der EWG, wäre ebenfalls alles klar: Dann gäbe es eben klare Trennungen. Es ist der eigentümlich changierende, uneindeutige Zwischenzustand der EU, der sie für derartige Krisen besonders anfällig macht und die Bekämpfung natürlich besonders erschwert. Denn anstelle der nicht vorhandenen Verfassung treten dann spontane, mehr oder weniger provisorische Ad-hoc-Maßnahmen, von den seinerzeitigen "Sanktionen" gegen Österreich bis zu einzelnen EU-Maßnahmen gegen die Schuldenkrise, die sogar Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde widerrechtlich nannte.
Der problematische Limbo der EU zwischen allen nur denkbaren staatsrechtlichen Aggregatszuständen spiegelt natürlich letztlich die Unentschlossenheit der 500 Millionen Europäer zwischen den emotional aufgeladenen Nationalstaaten und dem Vernunftprodukt EU wider. So gesehen kann man die Leiden der Europäer mit diesem unglücklichen Zwitterwesen als Preis dieser ihrer Unentschlossenheit verstehen. Es ist freilich ein mittlerweile verdammt hoher Preis.