Kleine europäische Länder verlieren weitere Stimmrechte. | USA: Maximaler Einfluss mit minimalem Aufwand. | Washington/Wien. Der Sieg ist Christine Lagarde nicht mehr zu nehmen: Frankreichs Finanzministerin wird das Wettrennen um den Chefsessel des Internationalen Währungsfonds (IWF) für sich entscheiden. Der Job des Geschäftsführenden Direktors war vakant geworden, nachdem Dominique Strauss-Kahn wegen Vergewaltigungsvorwürfen zurücktreten musste. Die Bewerbungsfrist ist am Freitag abgelaufen, am Montag starteten die Beratungen über die Neubesetzung. Zwar dürfte der IWF seine Entscheidung erst am 30. Juni bekanntgeben, der Weg für Lagarde ist aber frei.
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Israels langjähriger Notenbankchef Stanley Fischer, der in letzter Minute auf die Bewerberliste gesprungen war, ist schon wieder aus dem Rennen: Der 67-Jährige überschreitet das in den Statuten festgelegte Alterslimit von 65 Jahren - in den IWF-Gremien gab es keine Mehrheit für eine Änderung. Somit tritt nur der mexikanische Notenbankchef und frühere IWF-Vize Agustin Carstens gegen Lagarde an. Er sieht sich selbst als Außenseiter: Es sei sehr schwer, die 65 Jahre alte Tradition zu brechen, wonach Europa den Chef der UN-Sonderorganisation stellt, so Carstens: "Das ist, als würde man ein Fußballspiel beim Stand von 5:0 beginnen."
Europa hat "keine gute Figur gemacht"
Carstens kritisierte den möglichen "Interessenkonflikt": Europa sei wegen der Schuldenkrise der größte Kreditnehmer und habe bei der Problembewältigung keine gute Figur gemacht.
Im Unterschied zu Carstens weiß Lagarde aber eine breite Länderfront hinter sich, die für eine solide Mehrheit im Exekutivboard reichen sollte - angefangen von den Europäern über afrikanische Länder, die Vereinigten Arabischen Emirate und Indonesien bis zu den USA, die ihre Unterstützung angedeutet haben.
Europa wird - wohl zum letzten Mal - den Anspruch der großen Schwellenländer auf den höchsten Posten bei der globalen Finanzfeuerwehr abwehren können. Die Europäer bezahlen dafür aber einen hohen Preis, heißt es in Washington.
Lagarde sicherte sich das Wohlwollen der Entwicklungs- und Schwellenländer nämlich, indem sie diesen mehr Einfluss auf den Fonds versprach. "Das geht einmal mehr zu Lasten kleiner europäischer Länder", prophezeit ein Insider.
Schon bei der jüngsten Reform, die im Oktober 2010 eingeleitet wurde und 2012 in Kraft sein soll, wanderten sechs Prozentpunkte der Stimmrechte zu aufstrebenden Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien. Die Chinesen werden die Deutschen als drittgrößtes Eignerland (nach USA und Japan) ablösen. Überdies verzichtet Europa auf 2 von 9 (inklusive Schweiz) Sitzen im 24-köpfigen IWF-Exekutivdirektorium.
Inoffizielle IWF-Regel: 15 Prozent für USA fix
Die Machtbalance wird sich weiter zu Ungunsten der Europäer verlagern. Die EU-27 haben zwar mit 31 Prozent der Stimmen ein Übergewicht. Die USA sichern sich aber mit knapp 17 Prozent den maximalen Einfluss bei geringstmöglichen Kosten: "Eine inoffizielle IWF-Regel lautet: Die USA dürfen nicht unter 15 Prozent fallen, weil sie damit ihr Vetorecht verlieren würden. So können sie 85 Prozent der Entscheidungen beeinflussen", heißt es in Washington.