Zum Europäischen Forum Alpbach sind heuer 667 Stipendiaten gekommen. | Doch nicht alle konnten einfach so nach Tirol reisen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Seminarstunden sind vorbei. Die Studenten haben sich auf das ganze Kongresszentrum verteilt. Einige hören den Podiumsdiskussionen im großen Saal zu. Andere beugen sich über ihre Laptops und schauen, was es Neues auf Facebook gibt. In der Cafeteria hat sich ein Grüppchen um den russischen Botschafter bei der EU geschart und lauscht seinem Vortrag.
Zwei Tische weiter sitzen Anastasiia und Solomiya. Sie bereiten ihr Referat für den folgenden Tag vor - auch wenn das mittlerweile niemand mehr Referat nennt, sondern es nur noch "presentation" heißt. Selbstverständlich können die beiden Ukrainerinnen sehr gut Englisch, sind aufgeweckt, auskunftsfreudig und ambitioniert.
Anastasiia und Solomiya sind zwei von den 667 Stipendiaten, die heuer zum Europäischen Forum Alpbach gekommen sind, das noch bis Ende der Woche läuft. Studenten aus Österreich und dem Ausland können sich um verschiedene Stipendien bewerben, wobei Teilnehmer aus den ost- und südosteuropäischen Staaten stark vertreten sind.
So sind viele Ukrainer und Bosnier in das Tiroler Bergdorf gereist. Sie lauschen den Kongress-Beiträgen oder nehmen drei Wochen lang an der "Summer school" teil. Die meisten von ihnen studieren Jus.
So auch Anastasiia und Solomiya. Die beiden sind sogar auf der gleichen Fakultät in Lviv, dem ehemaligen Lemberg in der Westukraine. Doch kennengelernt haben sie sich erst in Alpbach. Beide zeigen ihre Freude darüber, beim Forum - laut Solomiya "eines der wichtigsten zur europäischen Integration" - zu sein. "Wir lernen hier viel", sagt die eine. "Und du kannst wichtige Leute, Politiker oder Experten, Menschen mit viel Erfahrung, einfach beim Lunch ansprechen", erklärt die andere.
*
Europa ist für die jungen Frauen ein Traum und die Realität zugleich: "Wir sind ein europäisches Land. Und das sollte eindeutig Richtung EU gehen und sich nicht so abhängig vom Osten machen." Über die Notwendigkeit der Annäherung an die Union habe sie zu Hause oft mit Russen oder Ostukrainern, die eine stärkere Anbindung an Moskau bevorzugen, gestritten, erzählt Anastasiia: "Hier in Alpbach habe ich verstanden, dass ich nicht alleine mit meinen Überlegungen bin."
Zu spüren hat sie aber auch die Hürden bekommen, die die Europäer aufstellen. Ukrainer brauchen nämlich ein Visum, um in die EU reisen zu dürfen. Das bedeutet: jede Menge Dokumente sammeln - wie Bankkonto-Auszug, Nachweis des Studiums, eine Einladung, eine Bestätigung für den Aufenthaltsort im Ausland -, viel Aufwand und die Ungewissheit, ob das Visum überhaupt erteilt wird. Dieses ist für Studenten kostenlos, doch die Reise nach Kiew ist nicht gratis. Dorthin, wo die Botschaften oder Konsulate ihren Sitz haben, müssen die Menschen zweimal fahren: einmal, um die Papiere persönlich vorzulegen, und später noch einmal, um den Pass mit dem Sichtvermerk abzuholen.
Das Gespräch, dem sie sich dabei im österreichischen Konsulat unterziehen musste, hat Anastasiia als sehr unangenehm in Erinnerung. "Sie haben mir sehr persönliche Fragen gestellt: Wo und mit wem ich zusammenwohne, wovon ich lebe. Es waren mehrere Personen im Raum, und alle haben zugehört. Du kommst dir wie ein Verbrecher vor."
Solomiya wiederum bedauert, dass sie nicht ein paar Freunde besuchen kann, die in Wien studieren. Sie hat nur ein Visum für 20 Tage erhalten - genau die Zeit, in der sie beim Forum eingeladen war. Ein paar Tage mehr bekam sie nicht gewährt.