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Europäer wollen unter sich bleiben

Von Martyna Czarnowska

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Flüchtlingswelle in Spanien. | Skepsis gegenüber dem Größerwerden der EU. | Wenn im Herbst die Stürme beginnen, das Meer aufzupeitschen, nimmt die Zahl der Boote ab, die versuchen über den Atlantik nach Europa zu gelangen. Dennoch lassen sich hunderte Menschen nicht aufhalten: Sie wollen weg aus Afrika, nach Europa. Weg von der Not, der Arbeitslosigkeit, den Kriegen, dem Mangel an Perspektiven.


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Binnen 24 Stunden sind Anfang der Woche fast 200 Flüchtlinge aus Afrika vor Teneriffa, Fuerteventura und El Hierro auf den Kanarischen Inseln gelandet. Insgesamt sind heuer rund 31.000 Menschen über das Meer auf die Kanaren gelangt - fast genauso viele wie in den vier Jahren 2002 bis 2005. In Süditalien wurden mehr als 14.000 Flüchtlinge registriert. Und Tausende sind bei der Überfahrt umgekommen, schätzen Hilfsorganisationen.

Laut UN-Flüchtlingshochkommissariat hielten sich in Europa Anfang des Jahres 1,7 Millionen Flüchtlinge auf. Weit mehr waren es allerdings in Afrika: 2,8 Millionen. Allein Tansania hat 549.000 Menschen aufgenommen.

Dennoch: Immer mehr Menschen drängen nach Europa. Und je mehr sie es tun, umso mehr setzt Europa daran, sich abzuschotten. Gemeinsame Patrouillen im Mittelmeer, um illegale Einwanderung aus Afrika einzudämmen, verschärfte Asylgesetze, Debatten um den Konflikt der Zivilisationen: All das lässt die Mauer um die Europäische Union - und vor allem deren reichere Mitglieder - höher wachsen.

Daran ändern auch Warnungen der EU-Kommission wenig, dass bis 2030 die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter um 20 Millionen sinken wird. Dass es bis dahin 15 Millionen Bürger mehr geben wird, die älter als 80 Jahre sind. Dass es nicht nur mehr Kinder sondern auch Einwanderer braucht, um die Sozial- und Pensionssysteme zu sichern.

Ungeliebte Erweiterung

Doch gerade in Österreich kreisen die Diskussionen in erster Linie darum, wie Frauen dazu zu bewegen sind, mehr Kinder zu gebären. Welche Möglichkeiten geregelte Einwanderung bringt, steht kaum ernsthaft zur Debatte. Daran halten sich auch Politiker. Denn sie wissen: Die meisten Österreicher sind vorsichtig beim Thema Immigration, selbst von EU-Erweiterung wollen sie nicht mehr viel hören. Nur fünf Prozent von ihnen befürworten etwa einen EU-Beitritt der Türkei.

"Enlargement fatigue" nennen es die Politiker in Brüssel. Das klingt ein wenig eleganter als "Erweiterungsmüdigkeit", mit der Politiker in Österreich die Abschottungstendenzen begründen. Ein wenig Melancholie schwingt da mit, über den Verlust des gemütlichen und überschaubaren - westeuropäischen - Lebensraums, ein wenig Bedauern darüber, dass die Union es noch immer nicht geschafft hat, sich zu konsolidieren und ihr Potenzial auszuschöpfen.

Doch der Begriff Fatigue bringt die tiefsitzende Skepsis nicht zum Ausdruck, die viele Europäer beim Wachsen ihrer Union verspüren. Dahinter steht nicht zuletzt die menschliche Angst vor dem Fremden, Unbekannten - und die Sorge, den erarbeiteten Wohlstand teilen zu müssen. Diese Befürchtungen kamen schon vor der Osterweiterung im Jahr 2004 zum Tragen, und sie konnten auch nicht von der Wirtschaft beseitigt werden, die immer wieder vorrechnet, wie sehr gerade Österreich vom Beitritt der osteuropäischen Staaten profitiert hat. Sie sind auch vor der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens zu spüren. Und mit voller Wucht treffen sie auf die EU-Ambitionen der Türkei.

Dabei gibt es für jedes Argument für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ein Gegenargument - und umgekehrt. Religiöse Unterschiede? Schon jetzt leben Millionen Muslime in Europa. Einige von ihnen pochen hier auf Rechte, die ihnen in der laizistischen Türkei nicht gewährt werden - etwa das Tragen von Kopftüchern in der Schule.

Kulturelle Unterschiede? Einem Kreter oder Zyprioten ist die Mentalität eines Türken näher als die eines Schweden oder Engländers.

Wirtschaftliche Unterschiede? Die gibt es in den Regionen Europas auch. Und von einem Wachstum wie derzeit in der Türkei können die meisten Länder nur träumen.

Ungleiche Rechte

Vielleicht geht es Europa zu gut, mutmaßt ein türkischer Diplomat. Es befindet sich in einer Abwehrhaltung, kapselt sich ab gegenüber dem Rest der Welt.

Dabei haben nicht einmal die Mitglieder der Europäischen Union alle die gleichen Rechte. So können slowakische Altenbetreuerinnen nicht ohne weiteres in Österreich arbeiten, weil das Land seinen Arbeitsmarkt mit Übergangsfristen vor neuen EU-Mitgliedern abriegelt. Das wird sich im kommenden Jahr ändern. Ausländische Pflegekräfte werden von der Regelung ausgenommen. Denn, wie sich herumgesprochen hat: Sie werden gebraucht.

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