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Europäern droht Pensionsalter 70

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Wirtschaft
Die EU möchte das Pensionsalter den Lebenserwartungen anpassen: Über die kommenden 50 Jahre werden die Menschen im Schnitt rund sieben Jahre länger leben.
© © © Trevor Bonderud/First Light/C

Abschaffung gesetzlich verpflichtender Pensionsalter wird überlegt.


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Brüssel. Die Reform der Pensionssysteme ist wegen der immer stärker alternden Bevölkerung und der klammen Haushalte in den Mitgliedstaaten einer der Schwerpunkte der EU-Kommission für die kommenden Jahre. Deshalb will EU-Sozialkommissar Laszlo Andor noch im November ein sogenanntes "Weißbuch für angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen" präsentieren.

Die zwei Ansätze, die einigen Sprengstoff bergen, sind eine "bessere Balance zwischen der Anzahl der Jahre im Arbeitsleben und jenen als Rentner" und "die Entwicklung von zusätzlichen (privaten) Ansparformen" für die Pension. Einerseits müssten Pensionisten lebenswürdige Bezüge erhalten, zweitens die öffentlichen Finanzen entlastet werden. Das geht aus einem Entwurf von Andors Strategiepapier hervor, der der "Wiener Zeitung" vorliegt.

Kritik an unterschiedlichem

Männer-Frauen-Antrittsalter

Darin formulieren die Beamten des Sozialkommissars eher vorsichtig, bleiben aber inhaltlich auf Linie: Schon aus dem Konsultationspapier ("Grünbuch") im Sommer 2010 konnte man ohne Mühe ein Zielpensionsalter von rund 70 Jahren im Jahr 2060 herauslesen, obwohl diese Zahl nicht explizit erwähnt worden war. Jetzt bestätigt Andor, dass "das Pensionsalter angehoben und möglichst an den Anstieg der Lebenserwartung angepasst" werden soll.

Über die kommenden 50 Jahre werden wir im Schnitt gut sieben Jahre länger leben. Heute liegt das durchschnittliche Rentenalter für Männer bei 61,4 Jahren in der EU und 63,6 Jahren in der OECD. Laut der gehen Männer in Österreich derzeit freilich im Schnitt schon mit 58,9 und Frauen mit 57,5 Jahren in Pension. Um die Menschen länger im Arbeitsleben zu halten, schlägt die Kommission unter anderem vor, verpflichtende gesetzliche Pensionsalter ganz abzuschaffen.

Das ist ein Element des geplanten Pakets aus 25 zum Teil EU-rechtlichen Maßnahmen, welche die Pensionssysteme in den Mitgliedstaaten auf Vordermann bringen sollen. Zwar "bleibt die Hauptzuständigkeit für die Ausgestaltung der Pensionssysteme bei den Mitgliedstaaten", heißt es in dem Papier. Insbesondere in der Eurozone bekämen Pensionen aber "zunehmend eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse". Zudem verweisen Andors Strategen auf die Artikel 9 und 153 des Lissabonner Vertrags, welche der EU auftragen, ihren Bürgern sozialen Schutz zu garantieren und die Mitgliedstaaten am Weg dorthin zu unterstützen.

Betont wird, dass Pensionsreformen in einigen Ländern dringend notwendig sind, um das Vertrauen in die öffentlichen Finanzen zurückzugewinnen. Von heute durchschnittlich rund zehn Prozent der Staatsausgaben droht der Anteil bis 2060 um ein Viertel auf 12,5 Prozent anzuwachsen. Für 120 Millionen Menschen oder 24 Prozent der EU-Bevölkerung stellen (vor allem öffentliche) Pensionen ihre Haupteinnahmequelle dar - Tendenz steigend. Dabei müssen immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner erhalten. Kommen heute noch vier Menschen im erwerbsfähigen Alter auf einen Über-65-Jährigen, so werden es in knapp 50 Jahren nur noch zwei sein.

In Österreich kritisiert die Kommission vor allem die immer noch weit verbreiteten Frühpensionierungen ("Hacklerregelung") sowie das unterschiedliche Pensionsantrittsalter für Männer und Frauen. Laut OECD gehen die Menschen nur in Luxemburg früher in Pension. Immerhin soll das legale Pensionsalter für Frauen bis 2033 auf jenes der Männer von 65 Jahren angehoben werden.

Zwar steigen die Kosten für die Pensionen in Österreich nach EU-Prognose bis 2060 nur unterdurchschnittlich. Dafür müssten die Österreicher künftig drastische Einbußen bei ihren Bezügen aus der öffentlichen Rente hinnehmen. Um 30 Prozent weniger wären es 2060 im Vergleich zu 2007 - statt 55 Prozent des Durchschnittslohns als Rente gäbe es dann bloß noch 40. Nur Polen, Balten und Schweden zahlten mehr drauf.

Ansparsysteme für die Altersvorsorge nicht optimal

Umso wichtiger scheint das künftige zweite Standbein einer privaten Altersvorsorge. Allerdings hätten sich Ansparsysteme - also Pensionsfonds - bisher als anfällig gegen Finanzkrisen und wirtschaftliche Abschwünge erwiesen, schreiben Andors Beamte.

Die EU-Richtlinie für Pensionsfonds aus dem Jahr 2003 soll daher überarbeitet, die Aufsicht und die Kapitalanforderungen verstärkt werden. Bei den Fondsbetreibern schrillen die Alarmglocken. Sie befürchten, dass die EU ihnen ähnlich strenge Kapitaldeckungen wie Versicherungen ("Solvency II") aufbrummen will - Andor hat bereits mehrfach beruhigt. Pensionisten sollen im Fall von Firmenpleiten zudem besser abgesichert werden, wenn davon Pensionsfonds ihrer Arbeitgeber betroffen sind. Für die Anlagemöglichkeiten zur Absicherung der Altersvorsorge überlegt die Kommission ein EU-Zertifizierungssystem einzuführen.

Ursprünglich wollte Andor sein Strategiepapier bereits kommenden Mittwoch vorstellen. Offenbar gibt es aber intern noch einige Unklarheiten, bis zur Präsentation kann sich das Weißbuch daher noch in Nuancen ändern.