Bundespräsident Alexander Van der Bellen plädiert beim Staatsbesuch in Berlin für EU-Integration.
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Berlin. Anfang und Abschied in der deutschen Hauptstadt: Bei seinem ersten bilateralen Staatsbesuch in einem EU-Land wurde Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Freitag von seinem Amtskollegen Joachim Gauck empfangen. Dessen Amtszeit neigt sich wiederum dem Ende zu, in zwei Wochen residiert Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue, den Van der Bellen nun privat traf. Noch-Hausherr Gauck sparte nicht mit Lob für Van der Bellen: "Sie sind für viele Deutsche ein Sympathieträger", sagte er angesichts Van der Bellens vielbeachteter Rede vor dem EU-Parlament im Februar.
Daran knüpfte Van der Bellen in Berlin an: "Die EU ist der Garant für Wohlstand und für Freiheit. Es gibt keinen Grund, vor der Kleinstaaterei in die Knie zu gehen." Der Bundespräsident appellierte an die EU-Staaten, ihre Interessen zu bündeln - auch mit einem Seitenhieb auf EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der Mitte der Woche fünf Optionen für die Zukunft der Union präsentiert hatte. Nur zwei sieht Van der Bellen: Entweder man stärke die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit richtig oder gar nicht. Dabei verwies der Bundespräsident nicht nur auf eine drängende Lösung in der Flüchtlingsfrage, sondern auch auf die Digitalisierung der Wirtschaft: "Bei Missbrauch durch Google und Microsoft kann auch Deutschland als stärkste Wirtschaft in der EU nicht alleine tätig werden."
Während Van der Bellen den EU-Optimisten gibt, hat sich Gaucks Begeisterung über die Union in den vergangenen fünf Jahren verringert. Anlässlich des 25. Jahrestages des Vertrags von Maastricht sagte er vor Kurzem, dieser habe die EU "in eine gefährliche Schieflage gebracht", weil er die Wirtschafts- und Finanzpolitik in nationaler Hand belassen habe. Probleme seien verschleppt worden, bis heute sei etwa die Währungsunion nicht hinreichend stabil.
"Kanäle zur Türkei offen halten"
Am Freitag plädierte Gauck für eine "zielwahrende Verlangsamung" in der EU, forderte "Nachdenken zur Sicherung des Erreichten" ein. Aber: "Die Angstmacher haben nicht das letzte Wort." Mit Sorge erfülle den deutschen Präsidenten jedoch die Entwicklung in der Türkei, nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Diskussionen um den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel und die abgesagte Rede des türkischen Justizministers Bekir Bozdag. "Sind wir, die Mitte, so schwach, dass wir ihre Auftritte fürchten müssen?", frage Gauck - und schob gleich die Antwort nach: "Nein." Anders Van der Bellen: "Die Grund- und Freiheitsrechte wurden gegen die Obrigkeit erkämpft, und nicht für einen Minister."
Einig waren sich die beiden Staatschefs, dass man die Gesprächskanäle zur Türkei allen Spannungen zum Trotz offenhalten müsse. Van der Bellen erinnerte dabei an die Ostpolitik der SPD unter Willy Brandt, trotz der politischen Natur der DDR. Diese erlebte Van der Bellen in den 1970ern hautnah, als er am Wissenschaftszentrum Berlin im Westen der geteilten Stadt forschte. Einmal wurde ihm nach einem Konferenzaufenthalt in der DDR die Wiedereinreise nach West-Berlin verwehrt, erzählte Van der Bellen: "Da habe ich verstanden, was es heißt, eingesperrt zu sein." Seinen Besuch schloss Van der Bellen daher nach einem Besuch am Denkmal für die ermordeten Juden Europas an der Gedenkstätte Berliner Mauer ab.