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Europäische Beteuerungen

Von Martyna Czarnowska aus Brüssel

Politik

Außenminister Kurz will Bedenken der EU-Partner zerstreuen - EU-Gipfel befasst sich mit Migration.


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Brüssel. Es ist nicht seine Jugend, die die größte Aufmerksamkeit auf sich zieht. Denn auch wenn Außenminister Sebastian Kurz der jüngste Regierungschef Europas wäre, sollte er den Posten des Bundeskanzlers übernehmen, würde das nur kurz das Interesse der Amtskollegen entfachen. Schwerer wiegt nämlich in EU-Kreisen die Überlegung, mit wem der ÖVP-Politiker eine Regierung bilden würde - und wie diese es dann mit der Europäischen Union halten würde. Denn die Möglichkeit, dass die FPÖ in der künftigen Koalition vertreten ist, nährt in Brüssel schon so manche Sorge. Wird Österreich unter schwarz-blauer Führung rechtspopulistischer? Wird es EU-skeptischer? Wird es die Gruppe der Visegrad-Staaten, bestehend aus Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien, verstärken und etwa in den Debatten um Migrationspolitik einen restriktiveren Kurs einschlagen?

Es sind Fragen, die die meisten EU-Politiker - mit Ausnahme einiger linker Europaabgeordneten - zwar nicht offen stellen. Dennoch schwebten sie über den Treffen, die dem zweitägigen EU-Gipfel vorgelagert waren, der gestern, Donnerstag in Brüssel begann. Wie üblich kamen vor den Sitzungen der Staats- und Regierungschefs Vertreter der jeweiligen Parteienfamilien zusammen, also auch der Europäischen Volkspartei (EVP). Aus deren Reihen stammen außerdem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie EU-Ratspräsident Donald Tusk, die Kurz ebenfalls empfingen. Dabei - wie auch beim EVP-Treffen - war nicht zuletzt die Regierungsbildung in Österreich ein Thema.

Und dabei wurde Kurz nicht müde zu betonen, dass er einen pro-europäischen Kurs verfolge. "Ich bin jemand, der nicht nur Europa positiv sieht, sondern auch aktiv in der EU mitgestaltet", erklärte er nach der Zusammenkunft mit Juncker. Er habe mit dem Kommissionspräsidenten auch über die FPÖ gesprochen - so wie über andere Parteien in Österreich. Gleichzeitig schloss er einen Beitritt zur Visegrad-Gruppe, mit dem die potenzielle Koalitionspartnerin FPÖ kokettiert hat, aus.

Tusk wiederum äußerte sich von sich aus zum Treffen mit Kurz. Dieses sei ein "gutes" gewesen; der Außenminister sei ein "echter pro-europäischer Gewinner der österreichischen Wahlen", teilte der Ratspräsident via Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Debatte um Türkei

Eine Mahnung kam hingegen vom Vorsitzenden der EVP-Fraktion im EU-Parlament. Manfred Weber forderte, "irgendwelche Spinnereien Radikaler" vom Tisch zu wischen. Eine mögliche Diskussion über den Austritt Österreichs aus der EU oder der Eurozone - worüber FPÖ-Vertreter auch schon einmal laut nachgedacht haben - hätte da keinen Platz. Bei Kurz selbst erkennt CSU-Politiker Weber allerdings klar "eine pro-europäische Linie".

Dass sich die EU-Amtskollegen keine große Sorge um die Ausrichtung der Regierung in Wien machen müssten, befand ebenfalls Bundeskanzler Christian Kern. "Österreich wird Kontinuität haben, was die Zuverlässigkeit als europäischer Partner betrifft", erklärte er im Vorfeld der Sitzung mit seinen Amtskollegen.

Für Kern könnte es der vorerst letzte EU-Gipfel sein. Am ersten Sitzungstag standen dabei die Themen Migration, Digitalisierung und Verteidigung auf der Agenda. Es ging in erster Linie um eine Bestandsaufnahme, etwa bei der Zuwanderung. Ein zentraler Punkt ist der EU-Afrika-Fonds und die schleppende Finanzausstattung durch die EU-Staaten.

Am späteren Abend drehten sich die Diskussionen dann unter anderem um ein austritts- sowie ein beitrittswilliges Land. So informierte die britische Premierministerin Theresa May ihre Kollegen über die Strategie des Landes zur Trennung von der EU. Die Türkei wiederum wurde vor allem auf Wunsch Deutschlands thematisiert. Zwischen der Regierung in Ankara und jener in Berlin kommt es immer wieder zu Zwistigkeiten um Menschenrechtsverletzungen und Verhaftungen deutscher Staatsbürger. Um dem Unmut darüber Gewicht zu verleihen, will Bundeskanzlerin Angela Merkel nun die EU-Zahlungen an die Türkei zurückgeschraubt sehen. "Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Vorbeitrittshilfen eingeschränkt werden", kündigte sie an. Mehrere Milliarden Euro sind bis 2020 als Förderungen für die EU-Kandidatin vorgesehen.

Die Gespräche über eine Aufnahme des Landes in die Union würde Deutschland überhaupt gern stoppen. Allerdings ist diese Meinung unter den Mitgliedstaaten nicht mehrheitsfähig. Einen Verbündeten hätte Merkel in Sebastian Kurz. Auch dieser spricht sich schon seit einiger Zeit für einen Abbruch der EU-Verhandlungen mit der Türkei aus.