London entzieht britischer IS-Anhängerin die Staatsbürgerschaft. Rund 100 aus Österreich stammende Dschihadisten sind in Syrien in Haft.
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London/Wien. Sie sei "etwas schockiert", die ganze Sache breche ihr "irgendwie das Herz". Die britische Regierung will Shamima Begum, einer IS-Anhängerin, die mit ihrem Neugeborenen in einem syrischen Flüchtlingslager lebt, die britische Staatsbürgerschaft entziehen. Die 19-Jährige hatte gehofft, nach Hause zurückkehren zu können. Es sieht nicht gut aus für sie und ihr Kind.
Begum war 2015 als 15-Jährige zusammen mit zwei Freundinnen in die damalige IS-Hochburg Rakka gekommen. Dort wurden sie mit Dschihadisten verheiratet, Begum bekam zwei Kinder. Beide sind gestorben, doch ein drittes, ein am Wochenende geborener Sohn, lebt. Ihn wollte Begum nach Großbritannien bringen.
Der Fall sorgt für Aufsehen. Da ist einerseits ein Baby, das nichts kann für die Entscheidungen seiner Eltern. Andererseits zeigt Begum keine Anzeichen von Reue. Dass der IS seinen Gegnern in aller Öffentlichkeit den Kopf abschlug, habe sie kalt gelassen. Nach Rakka gekommen zu sein, habe sie nie bereut, sagte sie zu britischen Medien. Ihren Ehemann, ein Dschihadist aus den Niederlanden, liebe sie noch immer. Diese Haltung erleichterte es Innenminister Sajid Javid, ihr die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Zudem geht die Regierung in London davon aus, dass Begum in Bangladesch Anspruch auf Staatszugehörigkeit hat, weil sie dort geboren ist. Menschen den Pass zu entziehen ist nicht so einfach. Es gilt das Völkerrecht, niemand darf nach einer Aberkennung staatenlos sein.
Auch Österreicherin mit Kleinkind betroffen
In Österreich gibt es einen ähnlichen Fall. Eine 20-Jährige befindet sich mit ihrem Kind in kurdischer Haft, ihre Familie in Österreich setzt sich für ihre Rückkehr ein. In Wien wird der Fall derzeit geprüft. Man bemühe sich, die konsularische Schutzpflicht auszuüben, so weit das möglich sei und sofern staatliche Ansprechpartner zur Verfügung stehen, heißt es dazu aus dem Außenministerium. Die Rückholung aus Krisengebieten sei mangels Ansprechpartnern vor Ort aber nur eingeschränkt möglich.
Insgesamt haben 320 Menschen versucht, aus Österreich in den Dschihad nach Syrien und in den Irak zu ziehen, 30 Prozent davon sind österreichische Staatsbürger. Etwa 60 wurden an der Ausreise gehindert, ebenso viele sind mittlerweile tot. Rund 100 aus Österreich kommende Dschihadisten sollen noch vor Ort sein. Wie viele davon Staatsbürger sind, kann das Innenministerium nicht sagen. Wegen fehlender Behördenstrukturen in Syrien sei es schwierig, an die nötigen Informationen zu kommen, heißt es.
Gegen die Dschihadisten laufen nun Verfahren wegen Beteiligung an einer Terrorvereinigung. Die Staatsbürgerschaft kann man ihnen aber nur entziehen, wenn sie noch einen zweiten Pass haben.
Obwexer: Wir müssen die Staatsbürger zurückholen
Seit US-Präsident Donald Trump die EU-Staaten aufgefordert hat, rund 800 IS-Kämpfer aus Syrien zurückzuholen und vor Gericht zu stellen, wird der Umgang mit IS-Rückkehrern heiß diskutiert. Konkrete Maßnahmen hat Österreich nicht getroffen. Auch gibt es keine EU-weite Strategie dazu, wie nun mit Rückkehrern umzugehen ist. Aus Berlin heißt es, man könne nicht überprüfen, wer von den Gefangenen die deutsche Staatsbürgerschaft habe. Und Frankreich hat verkündet, gar keine heimischen IS-Kämpfer einreisen zu lassen.
Der Generalsekretär im österreichischen Innenministerium Peter Goldgruber will, dass die Personen "nach den dortigen Regeln zur Verantwortung gezogen werden". Doch in Syrien gibt es keinen funktionierenden Staat - und die IS-Leute sind in kurdischer Haft und nicht in staatlichen Gefängnissen.
Laut dem Völkerrechtsexperten Walter Obwexer muss Österreich seine Staatsbürger ohnehin zurücknehmen - auch, wenn es sich nachweislich um IS-Kämpfer handelt. Alles andere widerspricht der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dschihadisten die Staatszugehörigkeit zu entziehen, weil sie sich einer Terrororganisation angeschlossen haben, hält Obwexer für nicht möglich: "Österreich wird diesen Personen im Fall einer Rückkehr den Prozess machen müssen."
Die andere Option ist, sie in dem Land vor Gericht zu stellen, in dem sie die Straftaten begangen haben, also in Syrien oder im Irak. Dass es im Norden Syriens, wo die meisten ausländischen IS-Kämpfer gefangen gehalten werden, die nötigen rechtlichen Strukturen gibt, glaubt Obwexer nicht.