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Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat mit seiner Rede in Alpbach (Europäische Neutralität, aktiver, offensiver Militarismus) für Verwunderung und Aufregung bei "Freund und Feind" gesorgt, wobei mit letzterer Formulierung nicht der Politikbegriff von Karl Schmitt strapaziert werden soll. Im Gegenteil. Politik braucht Unterscheidungen in Zielen, Auffassungen, Werten und Interessen, aber keine Einteilung in Freund und Feind. Die Frage ist, wie schützt man sich gegen eine Politik, die mit Freund-Feind-Denken operiert und sich bei Durchsetzung nationaler Interessen nicht an das internationale Gewaltverbot hält? Die Antwort auf dieses Dilemma war bisher die traditionelle Sicherheitspolitik, die Frieden durch Vorbereitung auf Krieg sichern will, obwohl dies noch nie funktioniert hat. Daher der Ruf nach einem Paradigmawechsel der Sicherheitspolitik, nach einer alternativen Sicherheitspolitik, die den Frieden primär durch eine nichtmilitärische Sicherheitspolitik sichern will. Da weder Österreich noch die EU-Länder von einem "Feind" militärisch bedroht sind, wären hierfür gute Voraussetzungen gegeben.
Bei der Auseinandersetzung über die militärische Sicherheitspolitik stehen sich daher nicht nur Pazifisten und Bellezisten, sondern auch die Anhänger einer offensiven und defensiven Militärstrategie gegenüber. Die einen streben (z. B. USA) unabhängig von der Bedrohungslage starke, überlegene militärische Streitkräfte an, mit deren Hilfe der Staat seine nationalen Interessen militärisch durchsetzen kann, während eine defensive Militärpolitik sich auf die defensive Verteidigung des eigenen Territoriums beschränkt (z. B. Neutrale), wobei der Umfang der Streitkräfte die Bedrohungslage berücksichtigt. Diese beiden gegensätzlichen Militärstrategien stehen sich auch im Bündnisfall gegenüber. Beispiel für ein Verteidigungsbündnis war die NATO während des Kalten Krieges, Beispiel für ein Interventionsbündnis ist die NATO Neu seit Kosovo. In welche Richtung die Sicherheitspolitik der EU finalisiert wird, ist noch offen. Es geht um die Frage, wo und unter welchen Umständen EU-Streitkräfte zum Einsatz kommen sollen.
Da die defensive Verteidigung und ihre Beschränkung auf das eigene Territorium die Wesensmerkmale der militärischen Sicherheitspolitik eines neutralen Staates sind, kann der Begriff "Europäische Neutralität" im Zusammenhang mit der künftigen europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nur im Sinne einer Militärkonzeption verstanden werden, die auf eine offensive Verteidigung (Intervention) außerhalb des EU-Territoriums (ohne UNO-Mandat) verzichtet, was grundsätzlich ein friedenspolitischer Fortschritt wäre. Diese Zielsetzung steht jedoch im Widerspruch zu dem gleichzeitig angestrebten NATO-Beitritt, da sich die NATO Neu als Interventionsbündnis und eine Europäische Neutralität als Verteidigungsbündnis durch ihre unterschiedlichen Militärstrategien ausschließen.
Es ist verständlich, dass die NATO-Anhänger über die Idee einer Europäischen Neutralität nicht begeistert waren und von Sommerrede und taktischer Variante gegenüber der SPÖ sprachen. Die Anhänger der österreichischen Neutralität sollten aber die Idee einer Europäischen Neutralität, wie immer sie gemeint ist, nicht von vorhinein und grundsätzlich ablehnen, da sie eine Fortentwicklung der einzelstaatlichen Neutralität wäre. Sinnvoller wäre es daher, auf eine Klärung zu drängen, was der Bundeskanzler unter "Europäischer Neutralität" versteht und wie er den Widerspruch zu einem angestrebten NATO-Beitritt lösen will.
In einem funktionierenden Sicherheitssystem der EU, das sich auf Verteidigung beschränkt, ist eine österreichische Neutralität überflüssig. Solange es dieses aber nicht gibt, macht auch eine Restneutralität einen Sinn, da sie davor schützt, an Interventionskriegen ohne UNO-Mandat teilzunehmen. Das Festhalten an der österreichischen Restneutralität ist aber zu wenig für eine zukunftsorientierte Politik. Das ziel sollte eine europäische Sicherheitspolitik sein, welche die defensiven Strukturen der Neutralität übernimmt. Dieses Erbe der Neutralität gilt es zu erhalten und nach Europa zu transzendieren. Ein Europa, das erklärt, auf Interventionen zu verzichten, ist kein militärisches Vakuum, sondern könnte Vorreiter einer Sicherheitspolitik sein, die sich weltweit auf echte Verteidigung beschränkt.
Dr. Gerald Mader ist Präsident des Friedenszentrums Schlaining
Das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) ist ein privater, gemeinnütziger und parteiunabhängiger Verein zur Förderung von Friedensforschung, Friedenserziehung und Friedenspolitik. Schwerpunkte sind die Friedensuniversität und die Trainingskurse für zivile Konfliktbearbeitung.