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Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Prioritäten der neuen russischen Außenpolitik sowie politische und wirtschaftliche Kooperation standen im Mittelpunkt des 5. EU-Russland-Forum in Wien.
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Kaum wurde auf einer Tagung in so häufiger Abfolge von russischer wie westeuropäischer Seite so beharrlich auf die europäische Natur Russlands hingewiesen. Konnte das von Rednern aus der EU als Geste der ausgestreckten Hand für das Fernziel einer russischen Mitgliedschaft verstanden werden, ging es auf russischer Seite offenbar darum, auf die europäische Identität und den daraus abzuleitenden Ansprüchen zu pochen. Wie diese europäische Identität konkret zu definieren sei - etwa durch ein gemeinsames Wertesystem, Rechtswesen oder ähnliches - blieb allerdings offen.
Bruchlinien
Auf die gemeinsamen Aktivitäten auf Basis des Kooperationsabkommens zwischen der EU und der Russischen Föderation vom Dezember 1997 verwies Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Große Fortschritte seien in Russland im Hinblick auf die Konsoldierung einer stabilen, offenen und pluralistischen Demokratie, öffentlicher Institutionen und der Grundgesetzgebung sowie der Sicherung von Freiheit und Menschenrechten erzielt worden. Es fehle aber noch an der Umsetzung bereits existierender Gesetze. Die meisten öffentlichen Institutionen sowohl der Legislative als auch der Exekutive und des Militärs bedürften noch der "Reformierung und finanziellen Unterstützung"; unvollkommen sei auch die Freiheit der Medien. Tschetschenien stellt für die Außenministerin die Bruchlinie zwischen der EU und Russland dar. Zu überwinden gelte es auch offene Handelsfragen - eine Voraussetzung für die Unterstützung Russlands auf seinem Weg in die WTO durch die EU.
Die in manchen Ausführungen mitschwingende EU-Skepsis der russischen Seite brachte Wjatscheslaw Nikonow vom Moskauer "Polity"-Think tank auf den Punkt: Er stellte die Glaubwürdigkeit der EU angesichts des Umstands in Frage, dass es keine gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik gebe. Die OSZE kritisierte er als "ineffizient", und die NATO ziehe "neue Trennlinien zwischen Mitgliedern, Kandidaten, späteren und niemals-Kandidaten". Der NATO mangle es an Transparenz und Konsequenz: Sie engagiere sich "wenn es unnötig ist, wie im Kosovo", und zeige kein Interesse, "wenn es nötig wäre wie in Mazedonien". Mögliche russische Gegenmaßnahmen im Falle der Aufnahme aller Baltischen Staaten in die NATO könnten sein: Aufkündigung des Abrüstungsabkommens in Nordwestrussland, Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen, Militarisierung von Kalinigrad usw. Solche Töne zeigen, dass die Verletzung des russischen Selbstbewusstseins, bei Beschlüssen der NATO etwa im Einsatz am Kosovo wiederholt übergangen worden zu sein, noch nicht verheilt ist.
Gegengewicht zu den USA
In den Prioritäten der russischen Außenpolitik sei Europa nach dem Ende der Sowjetunion 1991 von der dritten (unter Kosyrew) und zweiten (unter Primakow) auf die erste Stelle vorgerückt, analysierte Alexej Puschkow, Chef des TV-Senders TV-Center, die gegenwärtige russische Außenpolitik unter Präsident Putin. Russland verstehe Europa als Schlüsselspieler für seinen Handel und die Investitionen - und wohl als Gegengewicht zu den USA am Kontinent. Als wichtigstes Ziel der gegenwärtigen russischen Außenpolitik nannte Puschkow die "Neutralisierung der antirussischen amerikanischen Politik", als größtes Anliegen, die Rückkehr der amerikanischen Finanzinstitutionen nach Russland, als großen Wunsch, "Teil und nicht Außenseiter" der europäischen Außenpolitik zu sein. "Russland hat eine europäische Seele, aber asiatisches Blut", so Puschkows neue "eurasische" Selbstdefinition russischer Intellektueller.
In überraschendster Form spielte Olga Butorina vom Europa-Institut der Moskauer Akademie der Wissenschaften die Europa-Karte aus. Der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, regte bei seinem Moskau-Besuch im Mai die Einführung des Euro als zusätzliche Außenhandelswährung in Russland an.
Euro in Russland?
Dies würde, meinte Olga Butorina, die Beziehungen zur EU vertiefen, den Außenhandel mit der Union - etwa die Energielieferungen - in deren Währung abwickeln lassen, eine Diversifizierung der Währungsstruktur schaffen, Risken mit dem Dollar verringern - und den Euro selbst stärken. Dem stehen die Volatilität des Euro, eine teurere Abwicklung als mit dem Dollar, Wechselprobleme in der Peripherie der Russischen Föderation und die kurze Wechselperiode Januar bis März 2002 entgegen. Diese Barrieren will Russland noch in diesem Jahr versuchen zu überwinden. Gelingt dieses Vorhaben, könnte sich unerwartet die europäische Währung zum Bindeglied zwischen EU und Russland gestalten.