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Europäische Solidarität auf tönernen Füßen

Von Monika Köppl-Turyna

Gastkommentare
Monika Köppl-Turyna ist Ökonomin und Direktorin des Forschungsinstituts Eco Austria.

Bei ersten Anzeichen von Problemen zeigt sich der Rückzug auf nationale Positionen.


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Mit dem "Doppel-Wumms" hat die deutsche Politik erneut gezeigt, wie fragil die europäische Einheit ist bzw. wie wenig sie gelebt wird. So plant Deutschland erstaunliche 200 Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen für das nächste Jahr. Vor allem die Gaspreisbremse, ähnlich dem österreichischen Modell der Stromkostenbremse, verstärkt massiv den Druck auf die Nachbarländer, ähnlich umfangreiche Unterstützungspakete umzusetzen. Ein solcher Wettlauf wird viel Steuergeld kosten, ohne jedoch eine Entlastung mit sich zu bringen.

Zwei Wochen nach Kriegsbeginn haben wir von Eco Austria in einem Forschungsbericht festgehalten: "Des Weiteren wird zu beobachten sein, welche Maßnahmen andere europäische Länder, insbesondere Deutschland, setzen. Sollte das Angebot an Erdgas deutlich eingeschränkt werden, dann könnten Unterstützungsmaßnahmen in Deutschland dazu führen, dass die deutsche Nachfrage nur schwach einbricht, was den Marktpreis noch weiter nach oben treibt. Dies könnte auch kostspielige Maßnahmen in Österreich zur Folge haben. Eine Koordinierung zwischen den betroffenen Ländern könnte die öffentlichen Unterstützungskosten reduzieren."

Acht Monate später befinden wir uns tatsächlich in der Situation eines klassischen "Gefangenendilemmas": Das großzügige deutsche Unterstützungspaket führt dazu, dass Österreich wegen des deutlich höheren Gaspreises im Standortwettbewerb zu verlieren droht, da die deutsche Nachfrage massiv gestützt wird. Sollte Österreich in dieser Situation nachziehen und ein vergleichbares Paket vorlegen, dann bleibt zwar die relative Standortqualität zu Deutschland unverändert, die höheren Gaspreise, von denen Exporteure außerhalb Europas profitieren, müssen aber von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufgebracht werden. Eine koordinierte Lösung wäre für alle Länder vorteilhaft und würde die öffentlichen Finanzen in weit geringerem Umfang strapazieren. Dieser gesamteuropäische Fokus fehlt seit Kriegsbeginn.

Eine europäische Lösung wäre aus mehreren Gründen vorzuziehen, aber diese ist in weiter Ferne. Ähnlich wie in der Corona-Krise stellt sich heraus, dass die europäische Solidarität nur bis zur nächsten Krise reicht. Bei ersten Anzeichen von Problemen zeigt sich der Rückzug auf nationale Positionen. Dieses Phänomen hat der schwedische Historiker Johan Norberg gut beschrieben: Von den steinzeitlichen Jägern und Sammlern bis hin zur Trump-Ära haben wir mit unserer Sehnsucht nach Zusammenarbeit und unserer Neigung zum Tribalismus zu kämpfen. Offenheit und internationale Zusammenarbeit sind nichtsdestotrotz unerlässlich, um die Herausforderungen der modernen Gesellschaften zu bewältigen und Wohlstand zu sichern.

Es werden weitere Winter folgen, für die wir ebenfalls noch keine europäische Lösung in Aussicht haben. Davon unberührt bestehen weiterhin die Herausforderungen des Klimawandels und der Innovationsfähigkeit oder etwa der notwendige europäische Ausbau der Leitungskapazitäten im Elektrizitätsbereich. Die europäische Wirtschaft hat von Kooperation immer mehr profitiert als von der gegenseitigen Abschottung. Gerade bei der Bewältigung der genannten Herausforderungen braucht es nun einen europäischen Schulterschluss mehr denn je.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.