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Europäischer Exportschlager

Von Werner Reisinger

Politik

Die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Isreals befeuert den Antisemitismus. Was kann dagegen unternommen werden?


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Wien. Ein Mob vermummter Personen belagert vergangenen Samstag eine Synagoge im schwedischen Göteborg. Ein Brandsatz wird auf das Gebäude geworfen, zwar entsteht kein Feuer, aber die jüdischen Jugendlichen im Gebäudeinneren flüchten sich in Panik in den Keller.

Die absehbaren Folgen der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Isreals durch US-Präsident Donald Trump schlagen der Öffentlichkeit auch in Europa mit aller Gewalt entgegen. In Berlin versuchte die Polizei, das Verbrennen von israelischen Flaggen durch pro-palästinensische Demonstranten zu verhindern. In Wien demonstrierten vergangenen Freitag einige hundert Personen vor der US-Botschaft gegen das Vorgehen Trumps. Nicht nur israelfeindliche Parolen, sondern auch Sprüche wie "Schlachtet die Juden" sollen dabei skandiert worden sein. Videos und Dolmetscher belegen dies. Auch türkische Fahnen waren auf der Demonstration zu sehen.

Neu ist dieser aggressive, muslimische Antisemitismus freilich nicht. Jedes Jahr im Juni marschieren Muslime am sogenannten Al-Quds-Tag, dem iranischen "Kampftag" gegen Israel, durch Wien und skandieren ebenso antisemitische Parolen. Der muslimische Antisemitismus, der vor allem bei Jugendlichen zunimmt, kann auch empirisch belegt werden. Fast die Hälfte der befragten Jugendlichen weise antisemitische Einstellungen auf, so das Ergebnis einer Erhebung des Integrationsexperten und Soziologen Kenan Güngör von vor zwei Jahren. Fast zum selben Ergebnis kommt eine Studie unter Lehrlingen des Zentrums für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien vom vergangenen Juni.

Von einem "importierten Antisemitismus" sprach FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bereits während der Flüchtlingsbewegung vom Sommer 2015. Inzwischen ist diese Haltung weit verbreitet. Toleranz gegenüber antisemitischen Tiraden könne es trotz Verständnisses für das Schicksal der Palästinenser nicht geben, so der Tenor. "Wenn wir weiter relativieren, zaudern und betonen, dass diese Übergriffe ja nur überzogene Reaktionen auf politische Ereignisse seien, üben wir Verrat an unserer gesamteuropäischen Verantwortung, an unserem gemeinsamen Schwur von 1945: Nie wieder", schrieb nach den jüngsten Wiener Demonstrationen die Journalistin Sylvia Margret Steinitz im "Stern". Unter anderem sei eine gescheiterte Integrationspolitik schuld an der Ausbreitung des muslimischen Antisemitismus. Aber kann diesem überhaupt entgegengetreten werden, und wenn ja, wie?

Neue FPÖ-Sympathien für Israel

"Genau genommen haben zuerst wir den Antisemitismus in die arabische Welt exportiert", sagt der renommierte Antisemitismusforscher Wolfgang Benz zur "Wiener Zeitung". Ursprünglich habe es in der muslimischen Welt nämlich keinen derartigen Rassismus gegeben, erst mit den ersten jüdischen Siedlungen im damaligen Palästina und umso stärker nach der Staatsgründung Israels 1947 hätten sich die Palästinenser und ihre arabischen Nachbarn beim antisemitischen Repertoire aus Europa bedient. "Antisemitismus als rassistische Ideologie ist Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien, Berlin und in Paris entstanden", sagt Benz. Zentrale, verschwörungstheoretische Machwerke wie die "Protokolle der Weisen von Zion", die Juden einen Plan zur Erlangung der Weltherrschaft andichten, hätten sich von Europa aus zum "Exportschlager" in der arabischen Welt entwickelt. "Heute kennt jeder Taxifahrer in Kairo die ‚Protokolle‘ - und glaubt auch, was darin zu lesen ist", so der Historiker. "Wir sollten also auf keinen Fall so tun, als ob die Muslime das erfunden hätten - sie haben das von uns geklaut."

Benz sieht in der vor allem von Rechts laut vorgetragenen Forderung nach harten Konsequenzen aber auch ein politisches Kalkül. "Das lenkt auch vom eigenen Antisemitismus ab und passt ins neue Feindschema." Tatsächlich ist die Liste antisemitischer "Ausrutscher" von FPÖ-Politikern, auch von Strache selbst, lang. Erst seit einigen Jahren, genau seit Straches Reise nach Israel und der Fraktionsgründung im EU-Parlament mit dem Front National von Marine Le Pen, wird antisemitisches Gedankengut in der FPÖ zumindest nach der offiziellen Parteilinie, bekämpft - und Israel gilt als Freund und Partner im Kampf gegen den radikalen Islam. Dementsprechend zögerte Strache auch nicht, sich der Meinung Donald Trumps anzuschließen und auch für Österreich zu fordern, man möge die Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Nicht alle rechtspopulistischen Politiker Europas schließen sich der Position an. Ungarns konservativ-nationalistischer Premier Viktor Orban, der einen absurd anmutenden, von Verschwörungstheorien geprägten Kampf gegen den Millionär George Soros führt, hat eine Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt bereits ausgeschlossen.

Ein schwieriger Spagat

Wie aber mit den jungen, antisemitschen Muslimen umgehen? "Man kann Verständnis für die Not der Palästinenser haben, auch für die aufgeheizte Situation. Verständnis darf der Judenfeindschaft aber keinesfalls entgegengebracht werden", sagt Benz. Auch, wenn man sehe, dass "alle möglichen Hassprediger hier ihre eigene Suppe kochen", warnt der Antisemitismusforscher vor Polarisierung beim Thema. "Dem 18-jährigen Palästinenser in Wien, der von seinem Großvater eingetrichtert bekam, dass die Juden der Grund allen Übels sind, muss man einerseits in die Augen sehen und sagen: Ich weiß um euer Leid. Anderseits muss man ihm sagen: So, wie du das Leid in Hass umsetzt, kann ich das unter keinen Umständen tolerieren." Zweifelsohne ein schwieriger Spagat, denn das Thema biete ein großes Instrumentalisierungspotenzial.

Ähnlich wie österreichische Bildungsexperten und Wissenschafter plädiert auch Benz für eine Initiative in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Er hält es durchaus für möglich, vor allem jungen Muslimen nahezubringen, dass Antisemitismus in Europa nie wieder Grundlage von politischem Handeln sein kann - auch nicht im Falle der Palästinenser. Ebenso müsse man aber das Spiel der Populisten adressieren: "Wenn wir jeden verführten Idioten zum fanatischen Antisemiten erklären, oder gar sagen, weil er Muslim ist, ist er Antisemit, wäre das nichts anderes als ein Rückfall in den alten Rassismus."