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Europäischer Größenwahn

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Warum es kompletter Unsinn ist, gegen illegale Migration auf "Bekämpfen der Fluchtursachen" zu setzen.


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Weil Österreich gerade den EU-Vorsitz übernommen hat, sah sich Caritas-Präsident Michael Landau genötigt, Bundeskanzler Sebastian Kurz mit gutem Rat zur Seite zu stehen. Österreich, ließ der Kirchenmann wissen, müsse dafür sorgen, dass die Europäer "Fluchtursachen bekämpfen und mehr Hilfe vor Ort leisten".

Wohl keine politische Forderung ist in den vergangenen Monaten so oft und von so vielen Politikern, Medienmenschen und anderen Meinungsbildnern erhoben worden wie die, "Fluchtursachen zu bekämpfen". Darauf können sich alle, unabhängig davon, auf welcher Seite des Kulturkampfes um Migration und Asyl sie auch stehen, sofort verständigen.

So wohltönend diese Forderung ist, so töricht ist sie letzten Endes. Denn zu meinen, Europa könne allen Ernstes auch nur einen kleinen Bruchteil jener "Fluchtursachen" beseitigen, die hunderte Millionen Menschen aus allen Teilen der Welt daran denken lässt, früher oder später ihre Chancen in Europa zu versuchen, ist eine Anmaßung epischen Ausmaßes. Das geht nämlich schlicht und einfach nicht, und wer das trotzdem behauptet, hat entweder keine Ahnung, wovon er oder sie spricht - oder möchte bewusst eine Illusion erzeugen, um sich unangenehme Maßnahmen zur Bekämpfung der Migration zu ersparen, die "wirkungsident" sind, wie das neuerdings heißt.

Denn die Fluchtursache schlechthin lautet Demografie: Trotz einer Kindersterblichkeit von etwa
15 Prozent wird die Bevölkerung Afrikas laut UN-Schätzungen bis zum Jahr 2050 auf 2,5 Milliarden und bis 2100 auf 4,4 Milliarden ansteigen, und der überwiegende Teil dieser Menschen wird keine Aussichten auf Jobs haben, weil die afrikanische Wirtschaft nicht einmal annähernd so schnell wachsen kann wie die Bevölkerung.

Die Aussicht, dass eine EU, der es nicht einmal gelingt, ihr Parlament an einem einzigen Ort tagen zu lassen, diese wichtige Fluchtursache Afrikas "vor Ort bekämpfen" könne, ist ungefähr so wirklichkeitsnah wie die Vorstellung, die EU könne ihre Finanzen durch die Umwandlung von Brüsseler Hausmüll in Goldbarren sanieren.

Es wäre auch interessant, vom Caritas-Präsidenten zu erfahren, wie diese ganz konkrete und gewaltige Fluchtursache Demografie bekämpft werden soll, wenn gleichzeitig die Landau ja nicht eben fernstehende Kirche sogar Kondome zu Teufelszeug erklärt - und damit einen substanziellen Beitrag dazu leistet, dass diese Fluchtursachen in Afrika weiter bestehen bleiben und eher noch zunehmen.

An dieser Stelle der Diskussion fordert garantiert irgendjemand, ein "Marshall-Plan für Afrika" müsse her. Auch der würde Fluchtursachen eher schaffen als bekämpfen, denn Afrikas missliche Lage ist nicht zuletzt jenen hunderten Milliarden Dollar geschuldet, mit denen der Westen in den vergangenen Jahrzehnten jene korrupten Regimes am Leben erhalten hat, die selbst Fluchtursachen sind.

Europa wäre also gut beraten, die hohle Phrase von der "Bekämpfung der Fluchtursachen" zumindest so energisch zu bekämpfen wie den Gebrauch herkömmlicher Glühbirnen. Erst wenn diese Illusion geplatzt ist, wird über Migration vernünftig und faktengebunden verhandelt werden können.