Die Corona-Pandemie und Russlands Krieg brachten die globalen Lieferketten in Gefahr. China steht kurz davor, sie zu sprengen. Kommt Europa auch ohne den Welthandel aus?
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Europas Unternehmen horten Vorprodukte aus China. Ihre Lager sind gesteckt voll mit Schaltgetrieben für Fahrräder, Mikrochips für Elektromotoren, mit allerlei Bestandteilen, die sie nur aus der Volksrepublik beziehen können. "Die Unternehmen bestellen in großen Mengen, so viel wie nur geht und alles, was sie kriegen können", sagt Andreas Breinbauer, Leiter des Studiengangs "Logistik und Transportmanagement" an der FH des BFI Wien.
Denn die globalen Lieferketten sind seit der Coronapandemie unberechenbar geworden. Die Waren kamen gar nicht oder erst verspätet an. "Da bestellt man lieber mehr, aus Angst davor, gar nichts mehr zu bekommen", sagt Breinbauer.
Der Kinderfahrrad-Hersteller Woom bestätigt diesen Trend. "Um verlässliche Liefertermine sicherzustellen, haben wir entsprechende Lagerflächen aufgebaut", sagt Sprecherin Belinda Ableitinger. "Ein Fahrrad besteht aus über 50 Einzelkomponenten, wenn nur eine fehlt, kann es nicht fertiggestellt werden." Bei den Komponenten würden die Lieferzeiten von wenigen Wochen bis zu zwei Jahren variieren.
Russlands Krieg verschärfte das Lieferketten-Problem und nun deutete China auch noch einen Angriff auf Taiwan an. Ist die Globalisierung damit am Ende?
Mit China könnte enden, was mit China in den 80er Jahren begann. Durch die wirtschaftliche Öffnung unter Parteiführer Deng Xiaoping nahm der Welthandel erst so richtig an Fahrt auf. Seither stieg die Globalisierung exponentiell an. Lagen die weltweiten Exporte im Jahr 1985 noch bei 2 Billionen US-Dollar, so waren es im Jahr 2019 knapp 19 Billionen US-Dollar.
Auslagern nach Asien
Für Europa kam die Globalisierung gerade zur rechten Zeit. Umweltorganisationen gewannen an Bedeutung, da passte es ganz gut, dass umweltschädliche Produktionen nach Asien ausgelagert werden konnten. Genauso wie Produktionen mit fragwürdigen Arbeitsbedingungen wie im 19. Jahrhundert etwa in der Textilindustrie oder im Bergbau. "Gleichzeitig entstanden große Absatzmärkte in China", sagt Breinbauer. Er verweist auf die deutsche Automobilindustrie, die 30 bis 40 Prozent ihres Handelsvolumen in China absetzt.
Und der Frieden wurde auch noch gesichert. Wer wolle schon jemanden angreifen mit dem Handelsbeziehungen bestehen? Doch dann kam die Coronapandemie, Russlands blutiger Krieg gegen die Ukraine und Chinas angedeuteter Angriff auf Taiwan. Und die Frage, die Europa ratlos zurücklässt: Was nun?
"Der Wegfall der Handelsbeziehungen zu Russland und den Verzicht auf russisches Gas und Öl wird Europa noch verkraften", sagt Harald Oberhofer, Professor an der Wiener Wirtschaftsuniversität. "China ist hingegen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, die könne man nicht so einfach ausschließen." Sollte ein Abbruch der Handelsbeziehungen notwendig sein, müsste Europa seine Beziehungen zu Südamerika und Afrika stärken. Oberhofer verweist jedoch auf das gescheiterte Freihandelsabkommen Mercosur, das nach heftigem Widerstand innerhalb Europas scheiterte. Und in Afrika sei China schneller gewesen. "Da haben wir gegen China schon verloren", sagt der Ökonom.
Eine Europäisierung wäre jedenfalls ein massiver Rückschritt des Wohlstands. Aber auch die Umweltpolitik würde nicht mehr funktionieren. "Wir können nicht genügend Technologien produzieren, um etwa Materialen für E-Mobilität oder Windräder herzustellen", sagt Oberhofer.
Die grüne Abhängigkeit
Weltweit werden die meisten Metalle in China abgebaut, vor allem jene, die für Europas Umbau zu grünen Technologien nötig sind. "China ist Weltmarktführer bei etwa 20 mineralischen Rohstoffen", sagt Frank Melcher, leitender Geologe an der Montanuni Leoben. "Die EU verfasste eine Liste von 27 Rohstoffen, die alle importiert werden müssen. Drei Viertel davon kommen aus China."
China besitzt in der Inneren Mongolei eine gigantische Lagerstätte und hat auf verschiedene Rohstoffe ein Monopol (siehe Grafik). Der Ausbau erneuerbarer Energien, Mikroelektronik für die Autoindustrie ist eng verzahnt mit China. Und Branchen wie etwa die Handyproduktion findet gar nicht mehr in Europa statt.
Klaus Weyerstraß, Ökonom für Weltwirtschaft am Wiener Institut für Höhere Studien (IHS), ist zuversichtlicher. Die EU sollte die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen wiederbeleben. "Die USA sind ein verlässlicher Partner", sagt er. Zudem könnte Europa die Beziehungen zu anderen asiatischen Länder stärken.
Wesentlich sei jedenfalls der Aufbau von Kapazitäten, wie etwa die Chipfabriken in Magdeburg von Intel, oder in Villach von Infineon. "Mit der Zurückverlagerung nach Europa würden sich auch die Transportwege verkürzen", sagt er. Ausfälle von globalen Lieferketten würden europäische Unternehmen nicht mehr betreffen.
Wie stark sich eine Entkoppelung von China auswirken würde, berechnete zuletzt das deutsche Ifo-Institut am Beispiel von Europas Wirtschaftsmotor Deutschland. Demnach würde das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands langfristig um 0,52 Prozent. Das reale BIP der übrigen EU würde mit 0,38 Prozent in geringerem Maße sinken. In diesem Szenario geht die Studie von gestiegenen Handelsströmen mit dem Rest der Welt aus. Deutschland würde seine EU-Importe um 2,25 Prozent erhöhen, aus den USA würde das Warenvolumen um 9,05 Prozent steigen, aus dem Rest der Welt wäre es ein Anstieg um 9,67 Prozent.
Im Falle einer umfassenden Rückverlagerung nach Deutschland würde das deutsche BIP um knapp 10 Prozent sinken. "Die De-Globalisierung könnte nicht nur zu erhöhter Arbeitslosigkeit und geringerem Wachstum führen, sondern letztlich auch die politische Stabilität des Landes gefährden", warnen die Autorinnen und Autoren in dem Papier.
Der globale Glanz verblasst
Den ersten Knick bekam die Globalisierung in der Wirtschaftskrise 2008/09. Die weltweiten Exporte brachen um ein Viertel ein, erholten sich aber wieder. Doch die globalen Handelsbeziehungen hatten ihren Glanz verloren. Indiens Premier Modi rief 2020 die neue Ära der "Selbständigkeit" aus, Japan schnürte im selben Jahr ein Förderpaket für Unternehmen, die ihre Produktionen zurück in die Heimat verlagern, China konzentriert sich seit kurzem auch auf Binnenkonsum und innerchinesische Lieferketten und Donald Trump gewann mit seinem Leitmotto "America First" die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen.
Da wirkt das von China 2013 ins Leben gerufene Handelsprojekt der Neuen Seidenstraße zwischen Asien und Europa wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, das trotz der zunehmenden globalen Skepsis erfolgreich startete. "Bis zur Coronapandemie verlagerten sich sechs bis acht Prozent der Transporte von der See auf die Bahn", sagt Andreas Breinbauer.
Und auch heute, trotz Coronapandemie, Russlands Krieg und Chinas Androhungen ist die Schienenverbindung von China durch Russland nach Europa noch offen. Sie werde aber immer seltener genutzt. "Es gibt Schätzungen, dass bis Ende April das Transportvolumen auf der Nordroute um 30 bis 40 Prozent eingebrochen ist", sagt er.
Am Donnerstag rief der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz deutsche Unternehmen dazu auf, sich wirtschaftlich nicht zu stark von China abhängig zu machen. Es werde Teil der nationalen Sicherheitsstrategie sein, dass man Abhängigkeiten von Importen reduzieren wolle, sagte er.
Klingt nach einer Zeitenwende oder wie nach einem Ausflug, bei dem man froh ist, wieder daheim zu sein: Einmal Globalisierung und zurück.