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Die österreichische Bundesregierung ist dagegen, dass der siegreiche Spitzenkandidat der nächsten Europaparlamentswahlen auch wieder EU-Kommissionspräsident wird. 2014 hat man sich - erstmals - darauf geeinigt, dass wer die Wahlen gewinnt auch Präsident der Kommission wird. Damit wollte man den Europawahlen eine größere Bedeutung geben und das allseits ins Treffen geführte "demokratische Legitimationsdefizit" der EU reduzieren. Doch was einmal funktioniert hat - Juncker gewann als Spitzenkandidat gegen Schulz - soll nach Ansicht der EU-Regierungsvertreter offensichtlich ein einmaliger Ausrutscher der Demokatie bleiben.
Warum Österreich seine Meinung in dieser zentralen Europafrage klammheimlich geändert hat, bleibt unbeantwortet. Eine öffentliche Diskussion über den Schwenk am Ballhausplatz unterbleibt. Überraschenderweise scheint die Entscheidung darüber, wer Chef der nächsten EU-Kommission werden soll, auch keine Frage für Österreichs Medien. Stattdessen ergeht sich das Land lieber in hypothetischen Fragestellungen, ob der nächste Bundespräsident an Treffen des Europäischen Rates teilnehmen kann (rechtlich unwahrscheinlich, realpolitisch de facto unmöglich) oder gar - quasi als künftiger Superheld der österreichischen Innenpolitik - im Alleingang den Abschluss des Freihandelsabkommens mit den USA verhindern kann. Statt sich den wahren, tatsächlichen und wichtigen Fragen der EU zu stellen, verfängt man sich in europapolitischen Spiegelfechtereien. Und verschläft die Möglichkeiten, die Brüssel tagtäglich bietet.
Aber auch im europäischen Alltagsgeschäft scheint Wien es vorzuziehen, nur ja nicht aufzufallen oder gar eine klare politische Linie zu verfolgen. Wenn am 12. Mai in Brüssel die EU Außenminister zu entwicklungspolitischen Fragen tagen, ist nicht einmal sicher, dass ein Minister aus Österreich zu den Gesprächen erscheint. In den letzten Jahren hat es die Bundesregierung nämlich vorgezogen, bloß einen Botschafter ins höchste EU-Gremium zu schicken. Es scheint ja auch völlig uninteressant, wenn man über die Zukunft der EU Außenhilfe bis zum Jahr 2030 diskutiert oder gar Überlegungen anstellt, wie man das Thema Migration und Entwicklung angeht und am Ende des Treffens Schlussfolgerungen zum Konzept der EU in Bezug auf Vertreibung und Entwicklung annimmt.
Tags darauf, am 13. Mai, sollen sich die Minister aus den 28 EU-Mitgliedsländern mit den Themen Freihandel mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) befassen und die anhaltenden Probleme der europäischen Stahlindustrie diskutieren. Hier ist zwar die Chance, dass ein Mitglied der Bundesregierung seinen Weg nach Brüssel findet, ein wenig höher. Bloß was die österreichische Position in all diesen Fragen ist, dass erfährt der interessierte Bürger natürlich nicht. Nach der jüngsten Veröffentlichung von TTIP-Verhandlungsdokumenten hat sich die Regierung von Kanzler abwärts zwar bestürzt und negativ zu den Verhandlungen mit den USA über ein umfassendes Freihandelsabkommen geäußert. Aber eben nur in Statements in diversen Boulevardmedien. Was sie konkret zu tun gedenken, um diesen Bedenken Ausdruck zu verleihen, das bleibt - wie üblich - im Dunkeln verborgen. Die österreichische Bundesregierung fährt in Brüssel politisch seit geraumer Zeit nur noch auf Sicht. Konzepte oder gar politische Leadership hat man schon lange nicht mehr.
Was Österreichs Position in wichtigen EU-Fragen ist, erfährt der interessierte Bürger nicht.