Im Süden Europas sind mehr als 30 Prozent aller Jugendlichen arbeitslos. EU-Maßnahmen greifen langsam.
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Wien. Die hohen Räume des fabrikähnlichen Gebäudes sind lichtdurchflutet und warm. Der Geruch von Holz dringt in die Nase, die Geräusche von Maschinensägen schallen durch die Halle. An einem Computer sitzt Gabriel Klein und programmiert. Vor zwei Jahren wollte er eine Tischlerlehre beginnen, doch kein Betrieb übernahm ihn. Über Kontakte erfuhr er von Jugend am Werk, einem Verein, der Jugendlichen, die keine Lehrstelle bekommen, Aus- und Weiterbildungen ermöglicht. Nun ist er bereits im zweiten Lehrjahr. Auf den Gängen der Lehrwerkstätte werden alle gegrüßt. Es geht sehr höflich zu in der Lorenz-Müller-Gasse, einem der fünf Ausbildungsstandorte von Jugend am Werk in Wien.
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Jugend am Werk dient als Auffangnetz für all jene, die den Übergang von der Schule ins Arbeitsleben nicht auf Anhieb geschafft haben. Der Verein agiert im Auftrag des AMS und wird vom ESF, dem Europäischen Sozialfond, finanziell unterstützt. Solche Auffangnetze sind ein Mitgrund für die im europäischen Vergleich recht niedrige Jugendarbeitslosenrate von 9,8 Prozent in Österreich. Laut Eurostat waren im Oktober 2018 in Europa nämlich 15,3 Prozent und damit 3.468 Millionen Jugendliche arbeitslos. Europaweit am stärksten betroffen sind Griechenland mit 36,8 Prozent, Spanien mit 34,9 Prozent und Italien mit 32,5 Prozent der Jugendlichen, die sich weder in Ausbildung befinden noch eine Arbeitsstelle haben.
Junge häufiger betroffen
Jugendliche sind grundsätzlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Personen, die bereits erwerbstätig waren. Teilweise ist die Erwerbslosenquote Jugendlicher sogar doppelt so hoch wie jene der Restbevölkerung. Das liegt laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung vor allem an strukturellen Schwierigkeiten. Da wäre etwa das "Insider-Outsider" Problem: Personen, die sich aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus bewerben, haben bessere Chancen als Bewerber ohne Job.
Um dieses Insider-Outsider-Problem zu verringern, wurden neue Regelungen geschaffen - die sich jedoch, besonders in wirtschaftlich schwachen Jahren, zum Nachteil junger Berufseinsteiger auswirken. So wurde beispielsweise in vielen Ländern der Kündigungsschutz gelockert, die Probezeit verlängert und Arbeitsverhältnisse wurden befristet, um das Risiko für den Arbeitgeber bei einer Neuanstellung zu verringern. Das führt jedoch auch dazu, dass Neueinsteiger häufig die Ersten sind, die gekündigt werden. Zudem fällt es Unternehmen leichter, junge Alleinstehende zu entlassen als jene, die bereits eine Familie gegründet haben.
Weil es diese Unterschiede in allen europäischen Ländern gibt, können sie nicht das Nord-Süd-Gefälle erklären. Wieso sind Jugendarbeitslosenzahlen in Österreich, der Tschechischen Republik, Deutschland und den Niederlanden im Vergleich zu Spanien, Griechenland und Italien gering - auch in den Jahren nach der Finanzkrise? Einer der größten Unterschiede ist das duale Ausbildungssystem: In Österreich und Deutschland findet die Berufsausbildung sowohl im Betrieb als auch in der Berufsschule statt. Dadurch erhalten Jugendliche eine theoretisch fundierte, aber auch praxisbezogene Ausbildung.
Das duale Ausbildungssystem fehlt in Ländern wie Spanien, Griechenland und Italien. In Spanien und Italien, wo die Jugendarbeitslosenzahlen nach der Finanzkrise 2008 drastisch gestiegen sind, erhalten Jugendliche ihre Berufsausbildung hauptsächlich in Berufsschulen. Die Folge: weniger Praxisbezug und weniger Kontakte in die Arbeitswelt als im dualen Ausbildungssystem. Zudem wird in Spanien besonders die Qualität der angebotenen Stellen bemängelt. Für Berufseinsteiger gibt es meist nur befristete Verträge oder Teilzeitstellen. In Italien gibt es zusätzlich große regionale Unterschiede in der Ausbildung. Das erschwert die Flexibilität und Mobilität der Jugendlichen im Berufsleben.
Lösungsansätze auf EU-Ebene
Auf EU-Ebene gibt es verschiedene Lösungsansätze, um Jugendlichen den Einstieg in die Arbeitswelt zu erleichtern. Als Antwort auf die hohen Jugendarbeitslosenzahlen 2012 und 2013 wurde die sogenannte Jugendgarantie ins Leben gerufen, die jedem Jobsuchenden unter 25 Jahren spätestens nach vier Monaten Arbeitslosigkeit entweder eine hochwertige Arbeitsstelle, eine weiterführende Ausbildung oder eine hochwertige Ausbildungsstelle verspricht.
Während die Europäische Kommission den Erfolg der Initiative betont, mit der seit 2014 rund 1,7 Millionen Jugendliche Unterstützung erhielten, übt der Europäische Rechnungshof Kritik daran. Das mit 6,4 Milliarden unterstützte Projekt habe die Erwartungen nicht erfüllt. Der Grund dafür liege in fehlenden "Strategien mit klaren Zielsetzungen".
Heinz K. Becker, ÖVP-Sozialsprecher im Europaparlament, meint deshalb: "Trotz beachtlicher Erfolge müssen EU und nationale Regierungen die Mittel aber noch mehr als bisher gewissenhaft, effektiv und zielgerichtet einsetzen."
Eine langfristige Möglichkeit zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa bietet laut der Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung das Lernen von dem Modell, das zu funktionieren scheint: dem dualen Ausbildungssystem. Immer wieder sind europäische Delegationen in den Hallen von Jugend am Werk zu Besuch. Die Studie warnt jedoch davor zu glauben, das duale Arbeitsmarktsystem könne eins zu eins übernommen werden. "Dafür bedarf es tiefgreifender Veränderungen der schulischen, gesellschaftlichen und Arbeitsmarktökonomischen Rahmenbedingungen." Vielmehr solle man das System je nach Land adaptieren.
Kurzfristig könnte das Ungleichgewicht innerhalb der EU durch erhöhte Mobilität verringert werden, so die Studie. Dazu müsse aber der Rahmen für Austauschprogramme besser werden: strukturierte Integration im Arbeitsmarkt, schulische Einbindung, gesellschaftliche Integration und Möglichkeiten zum Spracherwerb im Zielland. Programme wie Erasmus, die hauptsächlich auf den Hochschulen abzielen, müssten auf die Berufsausbildung ausgeweitet werden.
Neue Orte, Leute, neue Kultur
Der Tischlerlehrling Gabriel Klein lacht, als er in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" von seinem Auslandsaufenthalt in Malta erzählt. Total angegeben habe er vor seinen Kollegen damit, auf der kleinen Insel in einem Tischlereibetrieb gearbeitet zu haben. "Die Erfahrungen, die man dort macht mit neuen Leuten, einem neuen Ort, einer neuen Kultur, sind sehr wichtig", sagt Klein. Auf die Frage, ob er sich nun eher dazu bereit fühle, für einen Job ins Ausland zu ziehen, antwortet er klar mit ja: "Ich hab’ gemerkt, meine Englischkenntnisse reichen, um jetzt mit jedem Kunden zu reden, und ich könnte mir schon vorstellen, einen Aufenthalt im Ausland zu machen - ohne große Probleme."
Bei den Uhrenmachern in der Lorenz-Müller-Gasse sieht es anders aus als im Rest der Lehrwerkstätte. Statt großen Hallen gibt es hier einen kleinen Raum mit Werkbänken. Hinter ihren Monokel-Lupen sitzen Jugendliche in weißen Kitteln in Reih und Glied an Schleifmaschinen, um kleinste Gewinde zu bearbeiten. Jeder Nanomillimeter macht hier den Unterschied aus zwischen einer funktionierenden und einer kaputten Uhr.
Genauso wie die Lehrlinge in der Lorenz-Müller-Gasse wird wohl auch die Europäische Union noch lernen müssen, wie Maßnahmen in der Praxis am effizientesten ineinandergreifen, um die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen europaweit zu verringern.
Future Challenge
Bereits zum dritten Mal veranstaltet die "Wiener Zeitung" den Schüler-Video-Wettbewerb
#futurechallenge. Dieses Mal sucht die "Wiener Zeitung" den besten EU-Wahlspot, der auch die größten Skeptiker dazu bringt, bei der EU-Wahl im Mai 2019 teilzunehmen. Zugleich bietet die "Wiener Zeitung" den Leserinnen und Lesern einen Blick auf Europa aus einer dezidiert jungen Perspektive: In einer achtteiligen Serie
werden jugendrelevante Europathemen behandelt. Alle weiteren
Informationen plus das Video zur Story auf: www.wienerzeitung.at/
futurechallenge
Future Challenge
Bereits zum dritten Mal veranstaltet die "Wiener Zeitung" den Schüler-Video-Wettbewerb #futurechallenge. Dieses Mal sucht die "Wiener Zeitung" den besten EU-Wahlspot, der auch die größten Skeptiker dazu bringt, bei der EU-Wahl im Mai 2019 teilzunehmen. Zugleich bietet die "Wiener Zeitung" den Leserinnen und Lesern einen Blick auf Europa aus einer dezidiert jungen Perspektive: In einer achtteiligen Serie werden jugendrelevante Europathemen behandelt. Alle weiteren Informationen plus das Video zur Story auf: www.wienerzeitung.at/futurechallenge