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Europas Autokrise kommt erst

Von Helmut Dité

Wirtschaft

Automarkt in Westeuropa schwach. | Überkapazitäten bald auch Asien. | Genf. Der 81. Genfer Automobilsalon präsentiert sich als Frühlingsfest einer wieder boomenden Branche: 170 Weltpremieren - traditionsgemäß die meisten davon PS-stark und teuer -, Verkaufsrekordmeldungen und optimistische Prognosen bei fast allen der 260 Aussteller aus 31 Ländern.


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Hinter den glamourösen Messeständen aber zirkulieren Studien, die vor allem den europäischen Herstellern die Laune verderben könnten: Das Problem der teuren Überkapazitäten in Europa ist nämlich nicht wirklich gelöst - und es könnte angesichts des momentanen Ausbau-Wettlaufs auch in den boomenden Märkten Chinas, Südamerikas und Russlands demnächst virulent werden.

Der gesättigte westeuropäische Automarkt ist 2010 um fast fünf Prozent geschrumpft, auch heuer sehen die Marktforscher von J. D. Power einen weiteren Rückgang um zwei Prozent voraus - wenn die Ölpreissteigerungen den Käufern nicht die Laune sogar noch mehr verderben.

Europas Autobauer haben zuletzt mit Exporten nach China, Südamerika und auch Russland trotzdem ein Produktionswachstum und Rekordergebnisse geschafft. Deutsche Premiumhersteller wie BMW, Audi oder Porsche kommen momentan sogar mit der Produktion gar nicht nach; Käufer eines BMW X3, eines Porsche Cayenne oder mancher Audi-Modelle müssen derzeit bis zu einem halben Jahr auf die Auslieferung ihres Fahrzeugs warten - buchstäblich von null auf hundert beschleunigte der weltweite Boom des Vorjahres den Takt in den Fabriken.

Aber diese momentanen Engpässe sind ein Luxusproblem: Denn der Trend, die Produktion dorthin zu bringen, wo die Autos gekauft werden, verschärft sich. Schon im vergangenen Jahrzehnt wanderten zahlreiche Produktionen in Europa von Westen nach Osten: Von Großbritannien und Frankreich in die Slowakei und nach Tschechien zog es etwa Peugeot, von Turin nach Polen Fiat, von England in die Türkei Ford; Audi und Mercedes bauten und bauen in Ungarn groß aus, Renault baut seine Billigmarke Dacia von Rumänien bis Marokko.

Produktion verlagert

Und jetzt geht es noch viel weiter nach Osten, denn vor allem in Schwellenländern boomt das Geschäft, allen voran in China, aber auch in Indien, in Russland oder in Brasilien. Dort werden in den nächsten Jahren bestehende Produktionsstandorte ausgebaut und zahlreiche neue Fabriken eröffnet. Schöner Nebeneffekt: Die niedrigeren Löhne in vielen dieser Länder helfen, die Kosten zu drücken.

Gleichzeitig erwarten die Regierungen in diesen Schwellenländern, dass die westlichen Autos auch bei ihnen gebaut werden. Davon zeugt beispielsweise die jüngste Vereinbarung von Volkswagen zur Fahrzeugmontage beim russischen Hersteller GAZ. Importfahrzeuge werden im Gegenzug mit hohen Einfuhrzöllen belegt.

In Europa schürt dies zunehmend die Angst um Jobs in der Auto- und in der Zuliefererindustrie. Daimler-Chef Dieter Zetsche hält zwar dagegen: "Der Kapazitätsaufbau in den Schwellenländern verdrängt keine Arbeitsplätze in Deutschland" - für die Produktion in den Wachstumsregionen komme nämlich noch immer ein beträchtlicher Anteil der Teile aus Deutschland.  Und auch VW-Vertriebsvorstand Christian Klingler sieht keine Verlagerung: "Die Absatzsteigerungen rechtfertigen die zusätzlichen Kapazitäten in den Schwellenländern", sagt der Chefverkäufer der Wolfsburger, die im Vorjahr die Rekordzahl von 7,2 Millionen Fahrzeugen produzierten - und in den ersten beiden Monaten 2011 schon wieder um 20 Prozent zulegten. VW baut derzeit in den USA, China, Südamerika und Indien Fabriken, investiert aber auch in Deutschland.

300.000 Jobs in Gefahr

Die Unternehmensberatung Roland Berger sieht die Aussichten für Europa dagegen eher trüb: Einer Studie der Münchner zufolge gefährdet die zunehmende Verlagerung von Produktion und Vertrieb nach Asien in den kommenden 15 Jahren 300.000 Auto-Arbeitsplätze in Europa, sagt Wolfgang Bernhart, Auto-Experte und einer der Autoren der Studie.

Auswirkungen auf den Produktionsstandort Europa werden auch die bevorstehenden Veränderungen des Antriebs haben. Auch wenn die Elektroauto-Revolution offenbar viel langsamer kommt, als die meisten noch vor einem Jahr erwarteten: Europäische Hersteller sind vor allem bei den Verbrennungsmotoren klar führend. Mit einer zunehmenden Elektrifizierung des Antriebs, ob in reinen E-Autos oder als Hybrid, nimmt der Anteil der mechanischen Bauteile an der automobilen Wertschöpfungskette ab, der Anteil an elektronischen und elektrochemischen Komponenten dagegen zu - und da werden die Asiaten, allen voran die Chinesen, die Nase vorne haben, meinen die Branchenanalysten.