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Europas banges Warten auf Karlsruhe

Von WZ-Korrespondent Ulrich Glauber

Politik

Deutsches Verfassungsgericht könnte den Euro in neue Turbulenzen stürzen.


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Frankfurt. Die Skepsis in Deutschland gegenüber den Euro-Rettungsbemühungen wächst - das belegen mehrere Umfragen (siehe Grafik). Eine Mehrheit der Bundesbevölkerung hält sogar schon den Gegnern des "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM) die Daumen: Demnach sind 54 Prozent der Auffassung, dass die Entscheidungen des Bundestages zu ESM und Fiskalpakt in der Eurozone noch einmal rechtlich überprüft werden sollen. Nur ein Viertel der Befragten ist der Meinung, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch die Eilanträge der Euroskeptiker abweisen sollte.

Ursprünglich hatte der ESM bereits im Juli in Kraft treten sollen. Nachdem die Klagen dagegen beim Verfassungsgericht im badischen Karlsruhe eingegangen waren, hatten die Höchstrichter in den roten Roben den Bundespräsidenten Joachim Gauck gebeten, die vom Bundestag bereits verabschiedete Gesetzesgrundlage für den ESM vorerst nicht zu unterschreiben. Sollte den Eilanträgen am kommenden Mittwoch stattgegeben werden, ist nicht nur die Richtung für die Entscheidung in der Hauptsache vorgegeben. Dem deutschen Staatsoberhaupt wären weiterhin die Hände gebunden, die juristische Grundlage für den ESM in Deutschland in Kraft zu setzen.

Kampf mit harten Bandagen

Gekämpft wird mit allen juristischen Mitteln. Eine Sprecherin des Karlsruher Gerichts musste am Freitag versichern, ein Befangenheitsantrag gegen den Verfassungsrichter Peter Huber werde am Verkündungstermin 12. September nichts ändern. Laut der Tageszeitung "Die Welt" soll Huber früher für den Verein "Mehr Demokratie" tätig gewesen sein, der zum Klägerkreis gehört.

"Mehr Demokratie" mit der früheren sozialdemokratischen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin als Aushängeschild ist aber nur ein Mitglied im Klägerkreis, der so ziemlich das gesamte politische Spektrum der Bundesrepublik widerspiegelt. Nachdem der Bundestag die ESM-Gesetzesgrundlagen Ende Juni mit großer Mehrheit verabschiedet hatte, versuchen entschlossene Widerständler vom konservativen Peter Gauweiler aus der bayrischen CSU bis hin zur Fraktion der Partei "Die Linke" Kanzlerin Angela Merkel auf dem Umweg über das Verfassungsgericht in die Knie zu zwingen. Das deutsche Gesetz zum ESM sei verfassungswidrig, argumentieren sie grob zusammengefasst, weil es zu einer unbegrenzten Haftung Deutschlands für andere Eurostaaten führen würde. Der Bundestag könne keine demokratische Kontrolle mehr über die deutschen Zahlungen ausüben. Die Bedeutung des mit Spannung erwarteten Urteils wird von Analysten allerdings nach der Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) zum unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen überschuldeter Euroländer stark relativiert - nun spiele die Größe des ESM keine Rolle mehr.

Aus Finanzmarktsicht mag da etwas dran sein, politisch ist das Urteil dennoch immens wichtig. Ohne Deutschland, das einen Anteil von 27 Prozent an der ESM-Kapitalausstattung von 700 Milliarden Euro tragen soll, käme der Stabilisierungsmechanismus wohl nicht zustande. Zudem wäre eine ESM-Ablehnung ein Signal für Widerstand in anderen Euroländern. So behält sich auch die FPÖ eine Klage gegen den ESM vor. Laut österreichischer Verfassung müssen die entsprechenden Gesetze dazu aber erst einmal in Kraft treten. Die deutschen Euro-Skeptiker werden selbst bei einer Niederlage nicht aufgeben - neue Klagen gegen die EZB sind bereits angekündigt worden.

Referendum - aber wann?

Das Karlsruhe-Urteil könnte indes weit über den ESM hinaus Relevanz bergen: Beobachter sind gespannt, ob die Richter eine Indikation für das weitere politische Zusammenrücken Europas geben: Dieses wird nämlich früher oder später, so Experten, eine Änderung des deutschen Grundgesetzes - und somit ein Referendum - erfordern. Dann ist wirklich die deutsche Bevölkerung am Wort.


Wissen: ESM<br style="font-style: italic;" /> <br style="font-style: italic;" /> (hes) Der "Europäische Stabilitätsmechanismus" (ESM) ist künftig das zentrale Instrument zur Krisenbekämpfung – und er kommt einem Europäischen Währungsfonds recht nahe. Eigentlich hätte er bereits am 1. Juli starten sollen, das Warten auf das Karlsruhe-Urteil hat das verhindert. Um kriselnden Euroländern zu helfen und Zeit für Reformen zu gewinnen, soll er sich bis zu 500 Milliarden Euro am Kapitalmarkt borgen und weiterreichen können: Das kann in Form von Hilfskrediten (wie durch den bisherigen Rettungsschirm EFSF), mit Kapitalspritzen für Banken, durch Staatsanleihenkäufe, um die Zinsen zu drücken, oder in Form von Garantien auf Anleihen passieren, um Investoren anzulocken. <br style="font-style: italic;" /> <br style="font-style: italic;" /> Das Grundkapital des ESM beträgt 700 Milliarden Euro – davon müssen alle Länder anteilig 80 Milliarden Euro als Bareinlage einzahlen, der Rest erfolgt in Form von Haftungen. Weil die Einzahlung gestaffelt erfolgt, ist die volle Feuerkraft erst nach einigen Jahren erreicht. Gegenüber der ersten EFSF-Variante hat der ESM viel mehr Befugnisse. Das soll die Zugangshürde senken und das "Stigma" des Euro-Rettungsschirms beseitigen. So gibt es künftig nicht nur Rettungspakete, welche ein Land mehrere Jahre vom Kapitalmarkt abkoppeln, sondern vorsorgliche Kreditlinien nach IWF-Vorbild. Daran sind jeweils unterschiedliche Auflagen und Konditionen geknüpft. Kritiker monieren, der ESM-Vertrag sei wie ein Blankoscheck, der für alles Mögliche missbraucht werden könnte.