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Putins Krieg schweißt die EU zusammen. Doch die nationalen Interessen sind deshalb nicht verschwunden.
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Die Einigkeit in der EU, aber auch mit den USA, Großbritannien oder Kanada im Kampf gegen Russlands Krieg überrascht noch immer. Alle wissen: Jetzt ist nicht die Zeit, den Schulterschluss gegen Wladimir Putin durch Uneinigkeit zu schwächen.
Trotzdem gibt es die Strafmaßnahmen für den Westen nicht zum Nulltarif. Das wäre weniger gravierend, wenn die Staaten nicht höchst unterschiedlich betroffen wären. Während die USA wirtschaftlich kaum und energiepolitisch sogar vorteilhaft vom Wirtschaftskrieg tangiert werden, liegen die Dinge für die EU radikal anders.
Hier gibt es die Gruppe der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten, allen voran Polen und das Baltikum, die an der Spitze der Anti-Kreml-Front stehen; dann sind da die energiepolitisch von Russland abhängigen Staaten, zu denen neben Österreich auch Deutschland und Italien, aber ebenso Ungarn zählen. Die Nato-Staaten wiederum haben das Risiko einer Militärkonfrontation im Auge. Und dann gibt es Exoten wie die Schweiz, die nach Zögern die EU-Sanktionen nachvollzieht, aber von der im Euro- und Dollar-Raum massiv gestiegenen Inflation fast unberührt geblieben ist.
In jedem einzelnen Fall kommt hier das nationale Interesse ins Spiel. Entgegen einem verbreiteten Missverständnis handelt es sich dabei um kein abartiges Verständnis von Politik, sondern um das Fundament, auf dem auch die demokratische Legitimation aller Regierungschefs fußt. Diese stehen in der Pflicht, die Sicherheit ihrer Bürger zu schützen und Land und Leuten zu fördern.
Das ist kein Freibrief, die eigenen Anliegen immer und überall absolut zu setzen, schon gar nicht in einer Interessen- und Wertegemeinschaft wie der EU, obwohl es Regierungen immer wieder so auslegen. Aber auch in der Pflicht zur Solidarität ist es notwendig, die absolute Belastung für jeden Staat relativ zur generellen zu setzen. Ein völliger Boykott von russischem Gas und Öl zum Beispiel mag für manche Staaten vertretbar und akzeptabel sein, für andere jedoch aus objektiven Gründen nur schwer bis gar nicht zumutbar.
Will die EU ihre nie da gewesene Einigkeit gegenüber Russland bewahren, muss sie dafür sorgen, dass die politische Front geschlossen bleibt, indem sie die ökonomische und sicherheitspolitische unterschiedliche Betroffenheit anerkennt und dafür sorgt, dass von keinem EU-Mitglied Unzumutbares verlangt wird. Allerdings gibt es hierfür kein objektives Maß. Die harte Währung ist Vertrauen in den Willen zur Solidarität mit der Ukraine und in die Bereitschaft, Putin zur Verantwortung zu ziehen.