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Europas Bruchlinien

Von Martyna Czarnowska aus Bled

Politik

In den Debatten um die Gestaltung der EU wird die Frage nach Werten und Prinzipien immer lauter gestellt.


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Bled. Der neue Optimismus kann über nicht ganz so neue Bruchlinien kaum hinwegtäuschen. Zwar scheint die Europäische Union die Katerstimmung hinter sich gelassen zu haben, die das Austrittsreferendum in Großbritannien, das Ergebnis der US-Präsidentenwahl sowie zahlreiche Krisen innerhalb der Gemeinschaft ausgelöst hatten. Doch in die Rufe nach mehr Einigkeit und Selbstbewusstsein, nach einem neuerlichen Zusammenrücken der 27 EU-Mitglieder mischen sich auch Misstöne.

Hörbar wurden sie etwa beim Strategie-Forum in Bled. Das Motto der hochrangig besetzten Konferenz, die einmal im Jahr in der slowenischen Stadt am gleichnamigen See veranstaltet wird, war an und für sich einer "neuen Realität" und den Visionen dafür gewidmet. Aber dass die Vorstellungen zur Zukunft Europas unterschiedlich sind, wurde rasch klar.

Dabei lobte Sloweniens Präsident Borut Pahor die Diversität, die dem Wesen der EU entspreche: Es gehe nicht darum, einen Schmelztiegel zu schaffen, in dem alle Differenzen verschwinden. Aber gewisse Prinzipien seien nun einmal einzuhalten, wie etwa die Rechtsstaatlichkeit.

Schon bei dem Punkt jedoch gehen die Überlegungen dazu auseinander. Während etwa einige Staaten bei dem Thema in erster Linie an Polen denken, wo die EU-Kommission ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet hatte, meinen die Slowenen vor allem den Zwist mit Kroatien. Der Grenzstreit zwischen den Nachbarn, der unter anderem die Bucht von Piran und den Zugang der Slowenen zu internationalen Gewässern betrifft, ist noch immer ungelöst, obwohl ein Schiedsgericht bereits ein Urteil gefällt hat.

Motor für die Eurozone

So schiebt sich die Debatte über Werte und Prinzipien der EU zwischen die schon laufenden Diskussionen über die künftige Gestaltung der Gemeinschaft. Und nicht alle Mitgliedstaaten teilen die Meinung Pahors, dass Berlin und Paris den zugkräftigsten Motor für Reformen bilden sollten. Der Präsident brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die deutsch-französischen Vorschläge schon bald nach der Bundestagswahl in Deutschland fixiert werden und ab 2018 Realität werden.

Doch geht es bei dem Vorhaben in erster Linie um eine Stärkung der Eurozone, und jene Staaten, die keine Mitglieder der Währungsgemeinschaft sind, erheben schon Einwände gegen einen möglichen Ausschluss aus dem entscheidenden Kreis der Partner. Das wiederum nährt Sorgen vor einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten - ein Konzept, das niemand offen unterstützt, das aber mittlerweile in Teilen bereits Gestalt angenommen hat.

Die Brüche verlaufen dabei nicht nur zwischen Euro- oder Schengenmitgliedern und jenen, die sich nicht daran beteiligen. So ortet Iztok Mirosic, Staatssekretär im slowenischen Außenministerium, eine Linie zwischen West und Ost, aber auch zwischen Nord und Süd. Während die West- und Nordeuropäer auf Strukturreformen pochen würden, hätten die mit Finanzproblemen kämpfenden Südeuropäer eine andere Sichtweise. Die Frage, wo er sein Land am liebsten verorten würde, beantwortet Mirosic im Gespräch mit Journalisten, ohne zu zögern. Slowenien wolle einen Platz mittendrin, im Kern Europas.