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Europas Chance gegen Putin

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Die Energiewende ist klima- und geopolitisch geboten. Die Rechnung ist recht simpel: Jeder Euro, der nicht an den russischen Gasgiganten Gazprom überwiesen wird, sondern in den Ausbau von Erneuerbaren in Europa fließt, ist gut angelegt.


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Eine Prognose für das Jahr 2022 kann man getrost bereits heute treffen: Die nächste Betriebskostenabrechnung wird ein Schock. Die Preise für Heizen und Strom sind explodiert, Erdgas kostet heute um 20 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Eine weitere risikolose Prognose: Die Abhängigkeit von Erdgas in der Europäischen Union wird in den kommenden Jahren weiter steigen.

Denn Erdgas ist der vergleichsweise noch am wenigsten klimazerstörende fossile Energieträger, beim Verbrennen von Gas wird im Vergleich zu Kohle nur halb so viel Kohlendioxid emittiert.

Europa ist zwar beim Ausbau erneuerbarer Energieträger Weltspitze, doch der gleichzeitige Ausstieg aus Kohle und Atomkraft in vielen Ländern der EU führt dazu, dass Erdgas zur zentralen Brückentechnologie auf dem Weg in eine karbonfreie Energiezukunft wird.

Aus Umweltsicht ist es auch immer noch besser, Erdgas zu verbrennen als Kohle. Noch besser freilich wären Investitionen in Wärmedämmung, Umrüstung von Industrieanlagen (vor allem bei der besonders energieintensiven Produktion von Zement oder Stahl), Smart Grids und erneuerbare Energieträger.

Was umweltpolitisch Sinn macht, ist auch betriebswirtschaftlich vernünftig: Denn während die Öl- und Gaspreise dramatisch steigen, fallen die Errichtungskosten für Solar- und Windkraftprojekte Jahr für Jahr: Eine Kilowattstunde Solarstrom wurde in den vergangenen zehn Jahren um 85 Prozent billiger, eine aus Windfarmen stammende Energieeinheit um 56 Prozent. Erneuerbare Energieträger sind bereits heute eine ernst zu nehmende Konkurrenz für die fossilen Energieträger.

Die Rechnung ist recht simpel: Jeder Euro, der nicht an den russischen Gasgiganten Gazprom überwiesen wird, sondern an europäische Windturbinenproduzenten wie Vestas oder Siemens Gamesa und Bauern auf der Parndorfer Platte geht, bleibt in der EU. Das ist volkswirtschaftlich vernünftig. Energie-Unabhängigkeit von Russland nimmt Präsident Wladimir Putin dessen wichtigstes Machtinstrument (abgesehen von russischen Panzern und Nuklearraketen, aber das ist eine andere Geschichte) aus der Hand. Das ist geopolitisch geboten.

Freilich, Österreich ist mit seinem reichen Schatz an Erneuerbaren energiepolitisch in einer komfortablen Position, genauer gesagt auf Platz fünf der EU-Erneuerbaren-Rangliste (34 Prozent der Energie stammen aus Erneuerbaren). Die größten Wirtschaftsmächte der EU sind aber nur im Mittelfeld - oder im Fall der Niederlande und Polen auf den hintersten Plätzen. Das bedeutet: Kurz- bis mittelfristig wird die Macht, die Putin darüber hat, ob es in Europa schön warm bleibt oder ob die Lichter ausgehen, sogar noch steigen.