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Bei Themen und Dingen, von denen man persönlich überzeugt ist, dass sie ebenso gut, richtig wie auch wichtig sind, ist die Gefahr besonders groß, sie sich - an der Realität vorbei - schönzureden. Die Europäische Union ist hiervon besonders betroffen, eben weil sie in den Augen vieler Entscheidungsträger und Meinungsbildner gut, richtig und wichtig ist.
Das Problem ist nur: Ein wesentlicher, laut Umfragen sogar wachsender Teil der europäischen Bürger sieht das nicht so. Und nach allgemeiner Auffassung haben die Bürger in einer Demokratie immer recht. Selbst dann, wenn sie einmal nicht recht haben sollten. Es ist die Aufgabe um- und weitsichtiger Politik, das Beste aus diesem Widerspruch zu machen.
So weit sind wir noch nicht, das politische Momentum ist quer durch den Kontinent auf der Seite von Populisten am rechten und linken Rand des Spektrums. Das betrifft keineswegs nur die laufenden EU-Wahlen. So gesehen ist es möglicherweise nur eine Frage der Zeit, bis sich in einzelnen Mitgliedsstaaten auch europakritische Regierungen bilden.
Was geschieht, wenn diese Regierungen zentrale Bausteine der EU ablehnen? Von linker Seite zum Beispiel die Brüsseler Vorgaben zur nationalen Budgetpolitik oder - von rechts - die Frage offener Grenzen für EU-Bürger. Was, wenn dies nicht nur die jeweiligen Regierungen betreiben, sondern auch eine Mehrheit der Wähler in einem Land dies so will?
In einem idealen Europa käme dem EU-Parlament die Rolle einer letzten, demokratisch legitimierten Instanz in solchen Fragen zu. Da aber Europa nicht perfekt ist, steht hinter dieser Rolle des EU-Parlaments ein Fragezeichen. Wenn bis Sonntag tatsächlich in manchen EU-Staaten nur 15 oder 20 Prozent zur Wahl gehen sollten, wie es Umfragen prognostizieren, dann steht jedes Machtwort des EU-Parlaments gegenüber diesen Regierungen - auch wenn es auf Grundlage der bestehenden EU-Verträge erfolgt - politisch auf wackeligen Beinen. Und das Gleiche gilt für jede gewählte Körperschaft, die sich auf einen starken Bürgerwillen stützen kann.
Aus diesem demokratiepolitischen Dilemma gibt es keinen einfachen Ausweg. Und schon gar keinen schnellen. Das Verhältnis zwischen den nationalen Parlamenten und deren Pendant in Straßburg ist noch längst nicht abschließend geklärt.