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Europas Einheit auf dem Prüfstand

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Bei ihrem Besuch in Polen will die deutsche Bundeskanzlerin Merkel nicht zuletzt ausloten, wie sehr sie auf Warschau als Bündnispartner zählen kann.


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Warschau/Berlin/Brüssel. Einmal ist es Großbritannien, dann Ungarn oder ein anderer osteuropäischer Staat: Wenn die polnische Regierung auf ihre wichtigsten potenziellen Bündnispartner in der Europäischen Union verweist, sind die Schwerpunkte anders gesetzt als noch vor einigen Jahren. Damals schien nichts naheliegender zu sein, als gute Beziehungen zu Deutschland zu pflegen. Das Nachbarland war - und ist - nicht nur ein bedeutender Handelspartner, sondern hat Polens Politik und Gesellschaft auf dem Weg zu demokratischen Reformen stets unterstützt.

Doch mittlerweile ist das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau abgekühlt. Seit der Machtübernahme vor fast eineinhalb Jahren hat die nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Jaroslaw Kaczynski einen Umbau des Staates in zahlreichen Bereichen vorangetrieben, der innerhalb der EU für viel Kritik gesorgt hat. Die EU-Kommission leitete sogar ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen ein.

Aber Unmut, der in Brüssel oder Berlin geäußert wird, wird in Warschau als Versuch der Einmischung in innere Angelegenheiten abgetan. Stattdessen lobte Außenminister Witold Waszczykowski noch vor einem Jahr London als wichtigsten Partner Polens. Und mit der ungarischen Regierung hat die polnische auch einige Berührungspunkte: etwa bei der Ablehnung einer verpflichtenden Quote zur Verteilung von Flüchtlingen oder bei der Forderung, einige EU-Kompetenzen wieder an die Mitgliedstaaten zurückzugeben.

Jedoch ist auch den Polen bewusst, dass es noch immer Deutschland ist, das zu den bedeutendsten Entscheidungsträgern in der Union zählt. Daher sind die Erwartungen, die an den Besuch von Angela Merkel geknüpft werden, hoch. Die deutsche Bundeskanzlerin wird am heutigen Dienstag in Warschau erwartet, wo sie nicht nur mit Ministerpräsidentin Beata Szydlo zusammenkommt, sondern auch mit Kaczynski.

Treffen mit Kaczynski

Der PiS-Vorsitzende, der selbst kein Regierungsamt innehat, gilt als der Ideologe und die Schlüsselfigur im Hintergrund, von wo aus er seine Macht ausübt und seine Vorstellungen vom Staat umsetzt. Premier Szydlo steht ebenso loyal zu ihm wie Staatspräsident Andrzej Duda; und im Sejm, im polnischen Parlament, hat PiS sowieso die Stimmenmehrheit. Merkel hat also gute Gründe, Kaczynski zu treffen.

Umgekehrt täten der PiS-Politiker und das Kabinett in Warschau gut daran, Berlin entgegenzukommen. Denn die Einheit der Europäischen Union bewahren zu wollen, ist nicht nur eine Formel, die die Staats- und Regierungschefs zuletzt bei ihrem Gipfeltreffen in Malta vor wenigen Tagen beschworen haben. Es ist eine tatsächliche Herausforderung für die Gemeinschaft und im Interesse Polens. Denn nach dem Brexit, dem EU-Austritt Großbritanniens, wird die Runde der Nicht-Euro-Staaten, der Polen angehört, noch kleiner und muss sich umso mehr darum bemühen, Gehör zu finden.

Das transatlantische Bündnis steht ebenfalls vor einer Belastungsprobe: Die Nato-Skepsis des neuen US-Präsidenten Donald Trump und dessen Sympathiekundgebungen für seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin lassen in Osteuropa die Alarmglocken schrillen. Daran ändert nur wenig, dass nun die sogenannte Nato-Ostflanke gestärkt wird: Kampffahrzeuge und Militärtechnik der US-Armee sind gerade in Estland eingetroffen, und insgesamt werden 4000 Soldaten nach Polen und in die baltischen Staaten geschickt.

So könnte das Thema einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik durchaus auf der Agenda der Gespräche in Warschau stehen. Merkel muss aber ebenfalls ausloten, zu wie viel Kooperation die Polen auch in anderen Bereichen bereit sind. Denn Ende März wollen die EU-Spitzenpolitiker das 60-jährige Jubiläum der Unterzeichnung der Römischen Verträge begehen, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft begründet haben. Gleichzeitig möchten sie ihre Ideen für die künftige Entwicklung der Union skizzieren.

Nach dem Gipfel auf Malta hatte Merkel bereits von einem Europa der "verschiedenen Geschwindigkeiten" gesprochen, in dem "nicht alle immer an den gleichen Integrationsstufen teilnehmen werden". Das ist zwar in Teilen schon jetzt Realität: Einige Mitgliedstaaten gehören nicht der Währungsgemeinschaft an, und einige befinden sich nicht im Schengen-Raum, wo Reisen ohne Passkontrollen möglich sind. Dennoch gibt es keine festen Machtblöcke, gegen die sich weniger einflussreiche Staaten in keinem Fall durchsetzen können. Vielmehr sind fließende Allianzen möglich. So könnte ein Bündnis mit Deutschland Polens Position stärken - wenn Warschau die Gelegenheit wahrnimmt.