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Europas entscheidende Frage: Wer sind wir?

Von Christian Ortner

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Christian Ortner.

Solange die Europäer nicht klären, ob sie Europäer sein wollen oder nicht, wird die EU nicht aus der Krise kommen können.


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Wenn Griechenlands, Italiens und Spaniens Premierminister im Ringen um die Frage, wer die Rechnung für Europas Schuldenexzesse begleichen soll, beherzt für ihr jeweiliges Land kämpfen, dann wird das in ganz Europa als berechtigte Vertretung der jeweiligen nationalen Interessen verstanden. Dass Mario Monti am Tisch des Europäischen Rates für Italien kämpft wie Gianluigi Buffon im Fußballstadion, findet jedermann selbstverständlich.

Wenn hingegen die deutsche Kanzlerin das Gleiche versucht, nämlich das nationale Interesse Deutschlands zu vertreten, dann wirft der "eisernen Lady" aus Berlin halb Europa Egoismus und einen Mangel an Solidarität vor. Oder denunziert sie gleich als Wiedergängerin Adolf Hitlers, die ein Viertes Reich errichten wolle.

So verdrießlich dieser augenblickliche innereuropäische Kampf um die Verteilung der Krisenkosten auch sein mag, so sehr illustriert er ein Grundproblem der Europäischen Union: die Ungewissheit darüber, ob es so etwas wie "Europäer" überhaupt gibt - oder ob wir nicht trotz Schengen, Euro und Europahymne alle im Grunde nach wie vor Griechen, Österreicher oder Finnen geblieben sind.

Wer sind wir? Sind wir tatsächlich primär Europäer und erst sekundär Angehörige irgendeiner europäischen Region, dann wäre wohl dringend Gebot der Stunde, eine
Art "Europäischen Bundesstaat" zu begründen, innerhalb dessen Grenzen dann tatsächlich schwächere Landstriche notfalls auf Dauer alimentiert werden, wie das innerhalb des Nationalstaates ja auch ohne Aufstände der reichen Zentren üblich ist. Das nationale Interesse ist dann eben ein europäisches.

Sollte diese Annahme hingegen eine Chimäre sein und sich der Europäer primär als Angehöriger eines Nationalstaates begreifen, so kämen die Errichtung dieses "Europäischen Bundesstaates" und auch die dort hinführenden Vorbereitungshandlungen eher der Errichtung einer geschlossenen Anstalt gleich. In diesem Falle wäre es wohl geboten, Charles de Gaulles "Europa der Vaterländer" als Finalität die EU zu begreifen. Und da gilt natürlich: getrennte Kassen, gute Freunde.

Solange nicht geklärt ist, ob die Europäer Europäer sein wollen oder nicht, wird der Murks um existenzielle Frage der Lastentragung in den vor uns liegenden Krisenjahren nicht aufhören, ganz im Gegenteil.

Zu klären wäre diese Frage ganz einfach: indem alle Europäer am selben Tag darüber abstimmen, ob sie für die "Vereinigten Staaten von Europa" sind oder das Konzept vom "Europa der Vaterländer" vorziehen.

Jene Staaten, in denen die Bevölkerungsmehrheit ein Mehr an Europa präferiert, könnten dann zügig und ohne Rücksichtnahme auf irgendwelche grummelnden Stammtische und populistische Politiker ans Werk gehen und die "Europäische Republik" begründen. Jene, deren Bevölkerung das anders sieht, könnten hingegen zu einem Zustand in der Façon der EWG des 20. Jahrhunderts zurückkehren - und der "Republik Europa" irgendwann beitreten, wenn sich die Mehrheiten ändern. Solange nicht geklärt ist, wer wir eigentlich sind, können wir auch nicht klären, wie wir zueinander stehen.