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Europas fragwürdiges Bangen um das Wohl der Journalisten

Von Karin Bachmann

Analysen

Mehr Aufmerksamkeit für sein Land zum Auftakt der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft hätte sich Ministerpräsident Viktor Orban wohl nicht einmal in seinen verwegensten Träumen erhofft. Dabei ist zweitrangig, dass er heftig kritisiert wird wegen eines Gesetzes, mit dem sich die Medienlandschaft in Ungarn ab 1. Jänner 2011 nachhaltig verändern wird.


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Orban gibt sich ungerührt ob der Anwürfe, er wolle vor allem mit der Inthronisierung eines scheinbar übermächtigen, weil nur mit Mitgliedern seines rechtskonservativen Fidesz besetzten Medienrats die Pressefreiheit abschaffen. Kritik kommt nicht nur von seinen politischen Gegenspielern im In- und Ausland, sondern etwa auch von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Orban an sich über die Europäische Volkspartei verbunden ist.

Er werde das Mediengesetz nicht ändern, ließ Orban die Welt am Heiligen Abend wissen. Wenig später empfahl der promovierte Jurist dem Rest der EU das Mediengesetz auch noch als Beispiel für gelungene Gesetzgebung. Was zunächst wie bloßer Trotz eines Mannes wirkt, der erst so richtig aufblüht in der Rolle des ewigen Aufbegehrers, ist bei näherer Betrachtung nur konsequent.

Denn zurzeit wird vieles unter den Tisch gekehrt, das angesprochen gehört. Damit drängt sich der Eindruck auf, es gehe gar nicht um Pressefreiheit, sondern einmal mehr um eine Attacke auf das europäische Enfant terrible Viktor Orban, das dem Rest des politischen Europas mit seiner parlamentarischen Zwei-Drittel-Mehrheit Angst wie Neid einflößt. Dann aber wäre es um den Journalismus in der ganzen EU schlecht bestellt.

Berater aus dem Westen

Die Idee zu einem neuen Mediengesetz rührt nämlich keinesfalls allein von Orban. Schon unter dem sozialistischen Regierungschef Ferenc Gyurcsany wurden Berater aus Westeuropa engagiert, um Denkanstöße zu einer Reform der öffentlich-rechtlichen Medien zu geben. Einige von ihnen sollen auch an den jetzt verabschiedeten Vorschriften mitgewirkt haben. Insofern hat sich die Regierung Orban keinesfalls internationalen Anregungen verschlossen, und es ist mehr als scheinheilig, nun zu behaupten - das auch noch im Nachgang zum Gesetzgebungsverfahren -, Ungarn habe europäische Standards außer Acht gelassen.

Im Übrigen wurde während des Gesetzgebungsverfahrens noch heftig nachgebessert, etwa beim Anspruch auf Gegendarstellung. Der sollte zunächst allen eingeräumt werden, die eine Verletzung ihrer Rechte durch die Berichterstattung der Medien vermuteten; jetzt muss tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegen.

Eine vermutete Rechtsverletzung reicht etwa im Nachbarland Slowakei, was seit Jahren eine Fülle an

unerquicklichen wie kostenträchtigen juristischen Auseinandersetzungen zwischen Redaktionen und Spitzenpolitikern nach sich zieht. Nur dass sich die internationale Gemeinschaft daran nicht stößt.

Meinung statt Fakten

Schließlich übersehen die Kritiker, dass die ungarische Medienlandschaft bis heute alles andere als tadellos funktioniert und oftmals durch ungezügelte Hemmungslosigkeit geprägt ist, in der Regel auf Kosten journalistischer Qualität. So dominiert seit 1989 die Vorstellung, dass Information in erster Linie das Kundtun der eigenen Meinung und nicht etwa die professionelle Aufbereitung von Fakten bedeute.

Während der Amtszeit von Ferenc Gyurcsany hatte das beispielsweise die frappierende Folge, dass der Blog des Ministerpräsidenten auf der Homepage seiner sozialistischen Partei eine der wenigen Quellen war, um einen kritischen Blick auf die Regierungsarbeit zu werfen.

Bis dato können sogar pornographische Inhalte völlig ungeniert in den Medien präsentiert werden. Selbst dann, wenn sie unter Umgehung inländischer Vorschriften nach Ungarn gelangt sind. Ab 1. Jänner gibt es auch dagegen erstmals eine juristische Handhabe.